WM-Kolumne Tragisch oder gefeiert — das ist hier die Frage

Düsseldorf · Alex Stober ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Die gebürtige Nordrhein-Westfälin ist aber auch noch oft in ihrer Heimat. Eine besondere Schwäche hat sie für das Ruhrgebiet und den BVB. Überhaupt: für Fußball. Wenn es darum geht, ist sie schnell in Liebe entflammt – wie man in ihrem WM-Blog lesen kann.

Alexandra Stober berichtet über die WM in Brasilien.

Alexandra Stober berichtet über die WM in Brasilien.

Foto: Stober

Alex Stober ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Die gebürtige Nordrhein-Westfälin ist aber auch noch oft in ihrer Heimat. Eine besondere Schwäche hat sie für das Ruhrgebiet und den BVB. Überhaupt: für Fußball. Wenn es darum geht, ist sie schnell in Liebe entflammt — wie man in ihrem WM-Blog lesen kann.

Mein angebeteter Hüter des Tores,

wie bin ich dir doch verfallen — mit Haut und Haaren. Schon jeher, aber ganz besonders jetzt, da das globale Fußballdrama auf seinen Höhepunkt zuläuft, und du dich in beinahe jeder Partie in mein Herz spielst. Mit einer Figur, die dir wie auf den Leib geschrieben ist und die niemand anders so beherrscht wie du: die des Helden. In den Varianten: Held, gefeiert oder Held, tragisch. Welche mir lieber ist? Das kommt auf den Verlauf des Dramas an. Vorhang auf!

Ein rechteckiger Rasenplatz in der brasilianischen Stadt Recife. Abendstimmung. Es ist schwül. Auf dem Platz tummeln sich Männer in blauen und weißen Trikots. Sie treiben mithilfe ihrer Füße einen Ball vor sich her. Die Weißgekleideten, um ihn in ein Konstrukt aus Metallstangen und einem grobmaschigen Netz zu befördern, das den Blaugekleideten zuzuordnen ist. Diese wiederum versuchen Gleiches bei dem den Weißgekleideten gehörenden Stangen-Netz-Gebilde. Dort steht ein Mann, ganz in Gelb. Er lauert wie ein Raubtier auf der Jagd. Schleicht hin und her. Sobald sich der Ball seinem Revier nähert, springt er panthergleich danach und hält ihn fest oder schlägt ihn fort. Er scheint nicht von dieser Welt; ihn umstrahlt eine schier göttliche Aura. Auftritt: Zeus.

So wird seit jenem Abend Costa Ricas Torwart Keylor Navas von seinen Landsleuten genannt. Mit was? Mit Recht! Der Vergleich mit dem Göttervater der griechischen Mythologie ist durch und durch angemessen. Schließlich sorgte doch Navas mit seinen überragenden Paraden dafür, dass die Griechen mit ihrem ohnedies nicht besonders göttlich anmutenden Spiel am Ende doch sehr menschlich daherkamen.

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Apropos menschlich: So kann man auch den verbalen Ausbruch eines anderen deiner Art bei dieser globalen Meisterschaft nennen. Es begab sich in grauer Vorzeit dieses Turnieres, als sich drei Löwen, also: elf Engländer dagegen aufbäumten, dem Spott und Hohn des böswilligen heimischen Boulevards ob einer Auftakt-Niederlage gegen Italien ausgeliefert zu sein.

Ein großes, neues, teures Fußballstadion mitten im brasilianischen Regenwald. Warum dort eine solche Spielstätte steht? Das weiß Zeus. Und eventuell noch Klaus Kinski alias Fitzcarraldo. Opernhaus im Dschungel und so. Die abendliche Luft ist warm und feucht. Auf dem Rasen des Stadions kämpfen Italien und England um einen guten Start in der Gruppe, die auch die Todesgruppe genannt wird. Dass dieser Name für beide tatsächlich Programm wird, ahnt an diesem Abend in Manaus noch niemand. Die Spieldauer ist bereits sehr fortgeschritten, die Italiener führen mit 2:1. Ein wunderschöner Freistoß ihres Kapitäns Andrea Pirlo klatscht an die Latte und springt von dort ins Aus. Abstoß England. In Windeseile wendet sich dessen Torwart Joe Hart dem Balljungen zu, um das Leder sogleich wieder ins Spiel zu bringen und seinen Mitspielern zu ermöglichen, die Niederlage doch noch in ein Unentschieden umzumünzen. Allein — der Balljunge hat es nicht ebenso eilig wie Hart. Auftritt: Rumpelstiltskin.

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"Heute halt ich, morgen schieß' ich, übermorgen hol' ich der Fifa ihr'n Pokal." Nein, ganz so märchenhaft waren Harts Worte nicht. Vielmehr — wie gesagt — sehr menschlich. "Verdammt" war ein Teil der Hartschen Wendung; sein Verlangen kam unbestritten deutlich zum Ausdruck. Politisch korrekt könnte man seinen an den Balljungen gerichteten Wunsch etwa so formulieren: "Wenn es dir keine größeren Umstände bereitet, wäre es außerordentlich freundlich, wenn du mir in naher Zukunft das Spielgerät aushändigtest."

Verglichen mit anderen deiner Art, mein verehrter Torwart, war das allerdings kein wahrer Ausbruch, sondern allenfalls ein Ausbrüchchen. Was du dir mit deiner oftmals exzentrischen und leicht reizbaren Natur im Verlaufe der Geschichte bereits verbal wie nonverbal erlaubt hast, darüber decke ich an dieser Stelle den Mantel des Schweigens. Obgleich ich durchaus Verständnis für deine gerne einmal überschäumende Emotionalität habe — hat doch kein anderer Spieler eine so exponierte Position wie du und ist solch harscher Kritik ausgesetzt.

Wenn ich ehrlich bin, ist es manchmal sogar genau solch ein Gefühlsausbruch in dieser doch inzwischen recht glattgebügelten Fußballwelt, die das Feuer der Liebe in mir auflodern lässt, mein Hüter. Spielst du allerdings göttergleich und mit traumwandlerischer Sicherheit und dann auch noch nicht nur deine eigentliche Rolle, sondern auch noch die eines fantastischen Liberos — so braucht es nichts weiter für einen Platz in meinem Herzen. Hach, Manuel.

In Liebe von hier bis zum Olymp

Deine Alex

(stober)
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