Sicherheitsvorkehrungen Krisensitzung nur wegen Chile-Fans - WM läuft besser als erwartet

Rio de Janeiro · Die Warnungen waren vor dem Anpfiff drastisch - bis hin zu einem drohenden WM-Abbruch. Nach der Hälfte der Spiele ist das Turnier in Brasilien sportlich eine Erfolgsgeschichte und organisatorisch auf Kurs. Nur zu leidenschaftliche Chile-Fans sorgten für Aufregung.

WM 2014: Chile-Fans verwüsten Pressezentrum im Maracana-Stadion
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Chilenische Fans verwüsten Presseraum im Maracana

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Joseph Blatter hatte vor der WM so manchen Grund zur Sorge. Millionen protestierende Menschen auf den Straßen, Probleme mit nicht komplett fertigen Stadien und eine in vielen neuralgischen Bereichen fragile Infrastruktur im Schwellenland Brasilien hätten der Fifa bei ihrem Glamour-Turnier am Zuckerhut einen enormen Imageschaden zufügen können. Zur WM-Halbzeit sorgten aber bislang nur rund 100 fußballverrückte Chilenen mit ihrem Sturm ins Maracana für eine Krisensitzung beim Weltverband. Die WM läuft allen Befürchtungen und Prophezeiungen zum Trotz relativ reibungslos.

"Die erste Woche der WM hat alle Erwartungen übertroffen"

So kann sich Präsident Blatter ganz auf die positiven sportlichen Schlagzeilen konzentrieren. "Die erste Woche der WM hat alle Erwartungen übertroffen. Und das Beste ist, dass der Höhepunkt noch kommt", frohlockte der Fifa-Chef. Gerade die Massendemonstrationen gegen Korruption und Misswirtschaft, die vor einem Jahr noch den Confederations Cup nachhaltig negativ beeinflusst hatten, blieben bislang aus. Brasiliens damals unzufriedene Mittelschicht protestiert im WM-Sommer nicht.

Grund für unplanmäßige Betriebsamkeit bei Weltverband, lokalen Organisatoren und brasilianischen Regierungsbehörden provozierten nur die Chile-Fans, die mit ihrem gewaltsamen Eindringen in den Presseraum im Stadion von Rio de Janeiro an einem völlig unerwarteten Punkt eine Schwachstelle im Hochsicherheitskonzept aufdeckten.

Mehr Sicherheitskräfte bei WM-Spielen

WM 2014: Fan von Lionel Messi auf Trainingsgelände festgenommen
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Messi-Fan auf Trainingsgelände festgenommen

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Diese Lücken wurden nun demonstrativ geschlossen. Mit noch mehr Polizei und noch mehr Stewards. In allen zwölf Spielorten sollen sowohl personelle wie strukturelle Veränderungen vorgenommen werden, teilte die Fifa mit. In Rio de Janeiro wurden sie am Sonntag erstmals spürbar. 3700 Militärpolizisten riegelten das Maracana vor dem Spiel Belgien gegen Russland ab - einige wurden erstmals auch im inneren Stadionbereich gesehen, wo bislang nur private Ordner eingesetzt worden waren.

Einige Straßen waren mit gepanzerten Fahrzeugen komplett gesperrt. Tickets wurden von den mit Schlagstöcken und massiven Schutzwesten ausgestatteten Militärpolizisten mehrmals kontrolliert. Die Atmosphäre vor dem Maracana war dennoch entspannt. Besonders die vielen belgischen Fans stimmten sich mit Gesängen auf das Spiel ein.

Vorab waren Details der Maßnahmen in den Stadien und im Umfeld der Arenen nicht genannt worden. "Jede Operation ist eine Einzelfallentscheidung. Die Spiele werden separat betrachtet und analysiert", hieß es am Samstag in Rio de Janeiro. Besonders an neuralgischen Punkten sollte die Präsenz erhöht werden, betonte der für Sicherheit zuständige Stadtvertreter Jose Luis Castro bei einer Pressekonferenz im Kommando- und Kontrollzentrum von Rio de Janeiro.

Das WM-OK bestätigte, dass entgegen erster Aussagen auch das Kontingent privater Sicherheitskräfte im legendären Fußball-Tempel aufgestockt werde - wenn auch nur in geringem Ausmaß. 1100 Stewards sollen die Abläufe kontrollieren, 63 mehr als beim Spiel Chile gegen Spanien. Am Mittwoch hatten zahlreiche chilenische Fans das Medienzentrum des Stadions gestürmt, um ohne Karten in die Arena zu gelangen. 87 Fans wurden festgenommen. Chiles Fußballverband Anfp kündigte Sanktionen an.

Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke hatte nach der Sitzung am späten Freitagabend getwittert: "Sehr gutes Sicherheitsmeeting von Fifa, Loc und brasilianischer Regierung. Bin sicher, die vereinbarten Maßnahmen werden diesen großartigen WorldCup noch sicherer machen."

Fehlende Sicherheit auf Brasiliens Straßen war eine der Hauptsorge der Fifa. Aber nur zweimal gab es bislang größere Ausschreitungen - beide Male in Sao Paulo. Am Eröffnungstag randalierten vermummte Demonstranten unweit der Corinthians Arena. Am Donnerstag gab es ähnliche Szenen in der Millionenmetropole. Die Randalierer rissen nach einer Demonstration von etwa 1300 Menschen für kostenlose Tickets in Bussen und Bahnen Mülleimer aus den Verankerungen und zündeten den Müll auf der Straße an. Der größte Schaden entstand bei einem Auto-Händler, bei dem rund ein Dutzend Luxus-Karossen demoliert wurden.

Zudem gingen Schaufenster an mehreren Bankfilialen zu Bruch. Die maskierten Krawallmacher beschossen die Polizisten mit Feuerwerksraketen. Die Sicherheitskräfte reagierten mit Tränengasgranaten. Die Polizei verfolgte das Geschehen zunächst aus der Distanz, soll diese zurückhaltende Strategie nach Worten von Gouverneur Geraldo Alckim aber ändern: "Eine Sache sind Demonstrationen, die respektiert werden müssen. Eine andere Sache sind Vandalismus, Verwüstung, kriminelle Akte von Maskierten, die bekämpft werden müssen. Und es die Pflicht der Polizei, dies zu tun."

In Belo Horizonte gerieten zudem Anhänger aus Argentinien bei der Ankunft des Mannschaftsbusses vor dem Gruppenspiel gegen Iran (1:0) mit brasilianischen Fans aneinander. Nach Polizeiangaben wurden acht Menschen leicht verletzt.

An den lange skeptisch beurteilten und von Pele als "Schande" betitelten Flughäfen des Riesenlandes wurde der Ansturm der feiernden Fußball-Fans aus aller Welt bislang ohne erkennbare Probleme bewältigt. Und auch die zwölf Arenen von Manaus bis Porto Alegre sind, von kleineren Pannen abgesehen, WM-tauglich. Probleme haben die WM-Macher hauptsächlich mit den Einlasskontrollen - und der Arbeitsmoral der Ordner. In Brasilía und Fortaleza erschienen hunderte Stewards nicht zum Dienst.

(dpa)
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