Der Schock von Maracana Rio 1950 — die Geschichte einer nationalen Tragödie

Düsseldorf · Bei der WM 2014 geht es für Brasilien auch darum, eine 64 Jahre zurückliegende Schmach endlich zu tilgen.

Brasilien will bei der Heim-WM die Schmach von 1950 tilgen.

Brasilien will bei der Heim-WM die Schmach von 1950 tilgen.

Foto: dpa, hrad jai

Wenn Weltmeisterschaft ist, wird Fußball zur nationalen Angelegenheit. So war es 1954, als Deutschland im Finale von Bern Ungarn 3:2 besiegte. Vier Jahre zuvor erlebte Brasilien das Gegenteil. Im Maracana-Stadion verlor die Selecao das entscheidende Spiel 1:2 gegen Uruguay. Das größte Stadion der Welt war ein "kolossales Grab, in dem die Freude begraben wurde", wie der Fußballphilosoph Jorge Valdano rückblickend über die "größte Niederlage der Welt" schreibt.

Nur noch Schweigen

Der 16. Juni 1950 war ein Tag, der eigentlich als gigantischer Feiertag eingeplant war: Die Spieler bekamen schon am Abend vorher goldene Uhren mit der Aufschrift "Den Weltmeistern", der Karnevalswagen für den Festzug durch die Straßen Rio de Janeiros stand bereit, die ersten Seiten der Tageszeitungen mit der Huldigung der Brasilianer waren schon gedruckt. Doch als Alcides Ghiggia das 2:1 für Uruguay erzielte, erlebte das mit 200.000 Menschen gefüllte Maracana das "tosendste Schweigen in der Geschichte des Fußballs", wie der Torschütze erzählte. "Es war, als hätte man die Krönungsfeier eines Königs vorbereitet, und der König wäre vor seiner Krönung gestorben", sagte Brasiliens Torwart Moacyr Barbosa, der bis zu seinem Tod geächtet wurde, weil seine Landsleute ihm die Schuld gaben am entscheidenden Treffer Uruguays.

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Die Geschichte dieses 1:2 ist die einer riesigen Enttäuschung, aber auch die einer maßlosen Selbstüberschätzung. Brasilien fühlte sich unbesiegbar, Uruguay sollte nur Staffage sein. Doch angeführt vom famosen Kapitän Obdulio Varela, der am Abend vor dem Spiel auf die schon erschienenen Weltmeister-Zeitungen urinierte, schaffte der erste Weltmeister das Wunder.

Als das Spiel vorbei war, irrte Jules Rimet, der Boss des Fußball-Weltverbandes, einsam über den Rasen. In seiner Tasche hatte er die Rede, die er zu Ehren der Brasilianer geschrieben hatte. "Ich fand mich allein", beschrieb Rimet, "und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Schließlich fand ich den uruguayischen Mannschaftskapitän Obdulio und überreichte ihm den Pokal beinahe heimlich. Ich gab ihm die Hand, ohne ein Wort zu sagen." Pele, damals zehn Jahre alt, saß vor dem Fernseher und sah seinen Vater hemmungslos weinen.

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"Maracanaço", der Schock von Maracana, "ist schlicht die größte Tragödie der brasilianischen Gegenwartsgeschichte, weil es das ganze Land betraf und eine Vision vom Verlust einer historischen Möglichkeit zur Folge hatte", schreibt der Anthropologe Roberto da Matta. "Maracanaço" lastet auch auf dem Brasilien der Gegenwart. Neymar und die anderen müssen die Schmach von 1950 tilgen. Wieder gilt alles andere als der WM-Sieg als Enttäuschung. Die WM ist für alle 32 Teams eine nationale Angelegenheit. Doch für die Selecao ist es mehr. Die fünf bisherigen WM-Titel konnten 1950 nicht vergessen machen. Nur dort, wo die Welt für Brasilien unterging, kann nach 64 Jahren das Trauma verarbeitet werden: im Maracana, im Finale am 13. Juli.

(RP)
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