Nationalmannschaft Toni Kroos macht sich unentbehrlich

München/Düsseldorf · Der Münchner Profi bekleidet eine wesentliche Rolle in der Nationalmannschaft. Auch am Freitagabend in Italien (20.45 Uhr/Live-Ticker) soll er dem Spiel aus dem zentralen Mittelfeld Struktur geben.

Nationalmannschaft: Toni Kroos macht sich unentbehrlich
Foto: dpa, Daniel Karmann

Joachim Löw hatte ein tolle Idee. Der Bundestrainer wusste plötzlich, wie er Andrea Pirlo, den fußballerischen Dirigenten der italienischen Nationalmannschaft, würde ausbremsen können. Er stellte ihm ein personell vergrößertes Mittelfeld und als zusätzliche Blockade Toni Kroos entgegen. Es war der vielleicht verhängnisvollste taktische Fehler in Löws Nationaltrainer-Karriere. Er trug maßgeblich zur 1:2-Halbfinalniederlage bei der EM 2012 bei, weil Kroos den rechten Flügel eher öffnete als bewachte, und weil die Italiener über ausreichend Spielintelligenz verfügten, die Seite für Angriffe zu nützen. Der Stachel sitzt bis heute tief, vor allem beim Trainer — und ausgerechnet im Testspiel heute Abend in Mailand fällt Kroos wieder eine bedeutende Rolle zu.

Diesmal wird er allerdings nicht als rechter Flügelspieler verschwendet oder als Sonderbewacher für Pirlo. Diesmal ist Kroos der Mann für die spielerische Struktur im deutschen Team, für die Entwicklung der eigenen Angriffe und ein bisschen auch für die Kontrolle der Italiener. Der Münchner Mittelfeldspieler wird neben Sami Khedira in der Zentrale stehen, auf der Position, für die das jüngere Taktiklehrbuch die Nummer acht ausgegeben hat. Das ist seine Lieblingsrolle. Und auf dieser Position hat Kroos sich unentbehrlich gemacht — in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern München, dem Triple-Sieger der vergangenen Saison.

In beiden Teams hat er es mit nicht unerheblicher Konkurrenz zu tun. Aber Kroos stellt sie mit zunehmender Erfahrung immer deutlicher in den Schatten. Der 23-jährige Greifswalder gehört zu der seltenen Spielergattung, die das Spiel schnell machen können, ohne selbst zu den Sprintern zu zählen. Er verfügt über ein ausgeprägtes Raumgefühl und die Fähigkeit, den Kollegen durch ganz schwierige weite Pässe Entfaltungsräume zu eröffnen, die man beim oberflächlichen Hinsehen gar nicht erkennt. Der "Spiegel" nannte ihn deswegen einen "Raum-Ausstatter".

Kroos macht aus dieser Fähigkeit kein Gewese, er unterstreicht seine Spielverlagerungen nicht mit großen Gesten und seine eigenen Treffer nicht mit Jubeltänzchen, die anschließend den Youtube-Server zusammenbrechen lassen. Er gehört ohnehin nicht zu denen, die nach besonderer Aufmerksamkeit rufen. Und er beherrscht den Ball mit derartiger Leichtigkeit, dass sogar die vergleichsweise anspruchsvollen Aktionen ganz einfach aussehen.

"Ich musste immer der Beste sein"

Das sind sie aber nicht. Und das hat Kroos in seiner ganzen Karriere ein Wahrnehmungsproblem beschert. In der Jugend übersprang er stets die Altersgrenzen, spielte als B-Junior längst bei den A-Junioren, und er lief als 17-Jähriger schon für die großen Bayern auf. "Von mir hat man immer besondere Leistungen verlangt", sagt Kroos, "ich musste immer der Beste sein. Wenn ich mal durchschnittlich gespielt habe, war das gleich schlecht." Das hat für einen beinahe verhängnisvollen Karriere-Knick gesorgt. Vor gut vier Jahren war das. Für die Bayern schien er nicht mehr gut genug, er wurde nach Leverkusen ausgeliehen, und dort fand er seinen entscheidenden Förderer. Jupp Heynckes setzte auf das strategische Geschick des Spielers, und er führte ihn an die nationale Spitze zurück. Kein Wunder, dass Kroos unter Heynckes Leitung bei den Bayern später so richtig durchstartete.

Einer der wichtigsten Fürsprecher in München war der für seinen fachkundigen Blick berühmte Hermann Gerland. "Bei Kroos", sagt der frühere Assistent von Heynckes und der heutige Helfer von Pep Guardiola, "ist der Ball sicher." Davon ist Kroos bei aller Zurückhaltung auch überzeugt. "Ich kann Spielsituationen, die kommen, spontan richtig auflösen, weil ich mich drauf verlassen kann, dass ich den Ball relativ ordentlich annehmen kann und den Kopf frei habe", erklärt er.

Auf solche Qualitäten kommt es gegen die Italiener besonders an. Denn sie haben auf die kleinen Fehler des Gegners immer eine furchtbar schnelle, manchmal spielentscheidende Antwort. Siehe: das Europameisterschafts-Halbfinale am 28. Juni 2012 in Warschau. Löw hat es ganz sicher nicht vergessen.

(RP)
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