Wirtschaftliche Probleme und Korruption Vor welchen Herausforderungen Brasilien nach der WM steht

Rio de Janeiro · Vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft war der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit weithin zu hören auf Brasiliens Straßen. Kaum aber hatten die Spiele begonnen, verstummte der Protest – auch angesichts des rigiden Vorgehens der Polizei. Doch die WM ist Geschichte, der Alltag kehrt zurück. Und damit auch der Mitte August beginnende Wahlkampf, in dem sich Präsidentin Dilma Rousseff beweisen muss. Dass das Land von der WM aber profitieren wird, bezweifeln viele.

Polizisten demonstrieren gegen die WM
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Vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft war der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit weithin zu hören auf Brasiliens Straßen. Kaum aber hatten die Spiele begonnen, verstummte der Protest — auch angesichts des rigiden Vorgehens der Polizei. Doch die WM ist Geschichte, der Alltag kehrt zurück. Und damit auch der Mitte August beginnende Wahlkampf, in dem sich Präsidentin Dilma Rousseff beweisen muss. Dass das Land von der WM aber profitieren wird, bezweifeln viele.

Das Chaos und organisatorische Pannen, welche die Opposition für die WM in Brasilien vorausgesagt hatte, blieb aus. Die Organisation funktionierte, die Proteste wurden unterdrückt. Doch nach der 1:7-Niederlage der Brasilianer gegen Deutschland unkten die Medien des Landes, dass diese auch politische und wirtschaftliche Auswirkungen haben könnte — im negativen Sinne.

Dabei hatte die Regierung des Landes den Menschen genau das versprochen, was sich viele Austragungsländer erhoffen: einen wirtschaftlichen Schub, von dem die Menschen profitieren, mehr Arbeitsplätze, hochmoderne Stadien, die für Events aller Art genutzt werden könnten. Doch nicht zuletzt das Beispiel Südafrika, wo vor vier Jahren die WM ausgetragen wird, hat gezeigt, dass solche Aussichten mitunter utopisch sind.

Südafrikas Erbe

In Südafrika blieb der wirtschaftliche Aufbruch aus, es gibt neue Streiks, neue Krawalle. In einer Studie des Schweizer Weltwirtschaftsforums landete das Land in diesem Jahr bei der Bewertung der Zustände auf dem Arbeitsmarkt unter 144 Ländern auf dem letzten Platz. Viele der neuen WM-Stadien sind verwaist, ein Schicksal, das auch Brasilien droht.

Mindestens vier Stadien werden vermutlich als Sportruinen enden, weil sie nach der WM nicht mehr gebraucht werden. Die Städte Brasilia, Manaus, Natal und Cuiaba haben keine bekannten Teams und damit auch keine Fans, die die Ränge füllen können. Auch das dürfte vielen Kritikern der Weltmeisterschaft bitter aufstoßen, denn die Proteste vor der WM richteten sich auch dagegen, dass die Regierung Milliarden in den Bau der Stadien statt etwa in die Bildung steckte.

Robert Baade, Wirtschaftswissenschaftler am Lake Forest College in der Nähe von Chicago, hat mit Regierungsvertretern in Brasilien über die teuren Stadien gesprochen. "Es gibt die Vorstellung, dass diese Stadien irgendwie als Katalysator für die wirtschaftliche Entwicklung dienen", sagt er. "Aber so funktioniert es nun mal nicht." Denn ein Fußballstadien sei kein Einkaufszentrum, das zwölf Stunden am Tag geöffnet sei.

Und auch die sozialen Probleme und der Unmut in der Bevölkerung dürfte keineswegs verschwunden sein. Das dürfte insbesondere für Präsidentin Rousseff eine Herausforderung sein, die aus der WM auch einen politischen Vorteil für sich ziehen wollte — wie viele andere auch. Denn in Brasilien finden im Oktober Präsidentschaftswahlen statt, der Wahlkampf beginnt bereits Mitte August.

Der Traum von neuen Arbeitsplätzen

Zwar hat sich die Lage unter der brasilianischen Arbeiterpartei PT, der sowohl Rousseff als auch ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva angehören, verbessert und die Armut verringert. Doch der Unmut über das schlechte öffentliche Gesundheits-, Transport- und Bildungswesen ist geblieben. Die hohe Inflation, das geringe Wachstum und die Kritik an korrupten Politikern und Geldverschwendung dürften in diesem Wahlkampf Themen sein, auf die Rousseff eine Antwort geben muss, will sie denn wiedergewählt werden.

Rousseff selbst aber gibt sich zuversichtlich, glaubt nicht, dass das Ausscheiden des brasilianischen Teams Auswirkungen auf die Politik haben wird, wie es die Medien des Landes geunkt hatten. "Was in den Stadien geschieht, mischt sich in Brasilien nicht mit der Politik", sagte die Frau, die den Menschen im Land Arbeitsplätze und einen Wirtschaftsboom durch die WM versprach.

"Profitiert haben allenfalls die Menschen in den Austragungsorten, nicht aber im ganzen Land", sagte die Brasilien-Referentin von Caritas-International, Carolin Nagy, dem Südwestrundfunk. Gerade im armen Nordosten, wo der versprochene Geldsegen dringend benötigt werde, sei er nicht angekommen. Auch seien durch die Umsiedelungen angesicht etwa der Stadien-Bauten, 250.000 Menschen schlechter gestellt als vorher.

Zuwächse sieht sie zwar auch im Hotel- und Tourismusgewerbe. "Aber dass es einen nachhaltigen Arbeitsplatzboom in diese Ausmaß gibt, ist eine Illusion", so Nagy. Zeigen wird sich das erst in den nächsten Monaten, wenn nicht sogar Jahren. Und dann muss die Bevölkerung Brasiliens entscheiden, ob die Opposition bessere Alternativen bietet als Rousseff und ihre Partei. Im Zuge der WM jedenfalls konnte sie in den Umfragen zulegen.

mit Agenturmaterial

(das)
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