Stadion in Rio de Janeiro Der entweihte Fußball-Tempel namens Maracana

Rio de Janeiro · Fußball im Maracana, das war für Brasilianer über Jahrzehnte eine heilige Messe. Inzwischen ist der mythenumrankte Fußball-Tempel entweiht.

WM 2014: Die Stadien in Brasilien
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Foto: afp, GUALTER NAVES

Maracana! Allein das Wort elektrisiert Fußball-Fans und -Spieler weltweit. "König" Pele erzielte hier sein 1000. Tor, Garrincha, Zico, Socrates, Romario und Ronaldo verzauberten in diesem Fußball-Tempel die Massen. Das Maracana ist ein Sehnsuchtsort und von Mythen umrankt wie kein anderes Stadion. Auch Brasiliens "Hiroshima", wie der berühmte Schrifsteller Nelson Rodrigues das 1:2 bei der WM 1950 gegen Uruguay nannte, trägt den Namen dieser Arena: "Maracanazo".

"Nur drei Männer haben das Maracana verstummen lassen", sagte Alcides Ghiggia, der Schütze des 2:1 für Uruguay später, "Frank Sinatra, Papst Johannes Paul II. - und ich." Doch das stimmt nicht mehr. Das Maracana, wie es die Brasilianer kannten und liebten, ist tot - und Ghiggia, ein gebeugter, aber wacher Mann von 87 Jahren, kann gar nichts dafür. Den "Mord am Maracana", wie es eine Zeitung nannte, haben die Brasilianer selbst begangen. Sie haben ihren Tempel entweiht.

Das Maracana war von Anfang an mehr als nur ein Fußball-Stadion. Erbaut für die WM 1950, sollte es ein Denkmal der neuen Größe Brasiliens sein, ein Versprechen für die Zukunft. Benannt nach einer Papageienart und einem gleichnamigen Bächlein, das hinter der Tribüne plätschert, wurde sein Standort nicht zufällig gewählt: An diesem Rinnsal trafen reicher, weißer Süden und armer, schwarzer Norden aufeinander. Ein Stadion als Schmelztiegel.

IOC-Präsident Bach kickt im Maracana-Stadion
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Foto: ap, Felipe Dana

Symbol für Demokratie

Die Architektur war ein Symbol für die junge Demokratie: Im Rund sollte jeder gleich gute Sicht auf den Rasen haben. Das Maracana war egalitär, nicht elitär. Ein Ort des Volkes. Jetzt, nach der Renovierung für die WM, ist es für viele ein Ort für VIPs. Manche hatten Tränen in den Augen, als sie die runderneuerte Arena erstmals betraten.

Das neue Maracana hat hat eine Aura wie das neue Wembley oder die Allianz Arena - mächtig, aber irgendwie kalt. Der Mythos ist zur leeren Hülle verkommen. Bunte Schalensitze sollen Fröhlichkeit ausstrahlen; sie haben die Stehplätze verdrängt. Vor den neuen Logen sitzen die Schönen und Reichen in schweren Sesseln und schlürfen Champagner.

Die Befürchtung, dass sich der gemeine Fan nach dem 420 Millionen Euro teuren Umbau keine Karte mehr würde leisten können, ist allerdings nicht eingetreten. Beim Derby zwischen Flamengo und Fluminense (Fla-Flu) am 11. Mai war das billigste Ticket für 30 Reais (zehn Euro) zu haben. Früher, maulen manche Fans, hätten sie für die Stehplätze hinter den Toren fünf Reais bezahlt. Außerdem seien große Fahnen und Trommeln verboten, statt heimischer Kost gibt es amerikanische Hotdogs.

Die Verantwortlichen weisen die Kritik zurück. Man hätte das Maracana den Erfordernissen des modernen Fußballs anpassen müssen. Aus der Vogelperspektive sehe es noch fast aus wie früher, sagte Bauleiter Icaro Moreno. Und die Privatisierung nach der WM, die viele empörte? "Das Stadion wird nur privat betrieben, es gehört dem Staat."

Sepp Blatter spürt im Maracana noch "den alten Geist". Dabei war Blatters Fifa mitverantwortlich beim Austreiben desselben. Für die vom Weltverband geforderte Anzahl an Parkplätzen musste eine Favela weichen. 650 Familien - umgesiedelt. Das erste Indianer-Zentrum in Lateinamerika, einen Steinwurf entfernt, wurde zwangsgeräumt.

Fla-Flu wollten nur 26.178 zahlende Zuschauer sehen. Bei normalen Ligaspielen sind es noch weniger, die Stimmung ist schlechter als bei manchem deutschen Fünftligakick.

Nur wenn Brasilien spielt, ist wie beim Confed-Cup-Finale 2013 Feuer unterm (neuen) Dach. Während die Selecao drinnen Spanien verprügelte, riefen draußen ein paar Leute: "O Maraca e nosso!" Das Maracana gehört uns. Das war einmal.

(sid)
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