WM-Qualifikation 2018 Brasiliens Wiederauferstehung

Düsseldorf · Fußball ist in Brasilien kein Spiel. Nur damit lässt sich erklären, wie tief das Debakel bei der Heim-WM das Land getroffen hat. Doch unter den Augen der Christus-Statue hat der brasilianische Fußball Wiederauferstehung gefeiert. Die Selecao ist sicher bei der WM 2018 und in Russland einer der Favoriten.

 Brasiliens Superstar Neymar.

Brasiliens Superstar Neymar.

Foto: ap, RM

Das Jahr war gerade wenige Minuten alt, da holte sie der Spuk wieder ein. Toni Kroos schickte seine über vier Millionen Fans auf Twitter ins junge Jahr 2017, benutzte statt der Zahlen 1 und 7 jedoch eine brasilianische und eine deutsche Fahne. Gut zweieinhalb Jahre nach dem WM-Halbfinale hallt diese Nacht noch immer nach.

Brasilianer fluchen tatsächlich "Gol da Alamanha". Der Bus fährt vor der Nase weg, man stolpert, die Wasserflasche schäumt über — immer wieder "Tor für Deutschland". So souverän und selbstironisch kann Brasilien heute handhaben, was in jener lauen Winternacht im Estádio Governador Magalhães Pinto zu Belo Horizonte geschah. Es bedurfte allerdings einer langen Phase der Aufarbeitung, um diesen Umgang mit dieser Großmutter aller Niederlagen zu lernen.

Wer schon in der Vorrunde in die Gesichter der Spieler von Fred bis Neymar und Alex Silva sah, wer hörte, wie sie ihre Nationalhymne schmetterten, der ahnte, welche Bürde ihnen von Beginn an auferlegt war. "Verehrte Erde, unter vielen Tausend bist Du, Brasilien, die geliebte Heimat", heißt es in der Hymne. Mitgesungen, fast geschrieen von Zehntausenden, manche Spieler kämpften schon vor Anpfiff mit den Tränen. Das war Pathos im Grenzbereich. Von eben dieser Wucht wurde das Land, dem Fußball in die DNA geschrieben ist, zunächst getragen und schließlich brutal umgehauen. Dieses Trauma war ein Angriff auf das nationale Selbstverständnis, nach dem 1:7 herrschte Staatstrauer, ohne dass sie jemand angeordnet hätte. Selbst dem deutschen Zuschauern musste im Moment des Finaleinzugs um die seelische Verfasstheit der gegnerischen Spieler bange sein.

Der Patient hat überlebt

Gut 14 Monate vor der nächsten Weltmeisterschaft in Russland lässt sich bereits festhalten: der brasilianische Patient hat überlebt. Vermutlich hätte es für die Selecao nicht gleich dieses biblischen Ausmaßes bedurft, ein einfaches Ausscheiden hätte ihnen auch gereicht. Doch am Ende mag es ein heilsamer Schock gewesen sein. Trotz all ihrer Topspieler war diese Mannschaft am Ende heillos überfordert, weil ihr größter Star nicht dabei war. Neymar musste als Zuschauer die Demütigung mit ansehen, weil er verletzt war. Heute ist der Superstar des FC Barcelona die große Konstante unter den Spielern, die das legendäre kanariengelbe Trikot tragen. Beim letzten Qualifikationsspiel gegen Paraguay stand mit Marcelo noch genau ein Spieler in der Startelf, der im WM-Halbfinale 2014 mit dabei war.

Doch nach dem Druck auf die Resettaste folgte kein Raketenstart. Für Trainer Dunga, der sich nach der Heim-WM dem Wiederaufbau der Selecao angenommen hatte, bedeutet das Vorrunden-Aus bei der Copa America 2016 das Ende. Seitdem betreut Tite das Team. Ein Vielgereister, dessen internationale Vita außerhalb Brasiliens ganze zwei Klubs in den Vereinigten Arabischen Emirate aufweist. Doch er hospitierte bei Trainern wie Carlo Ancelotti, um sich wichtige Dinge abzuschauen. "Jogo Bonito", das schöne Spiel, der Markenkern des brasilianischen Fußballs, lebt unter seiner Ägide unverkennbar auf.

Acht Siege in acht Spielen unter Tite

Auch Barcelonas Edeltechniker Neymar kommt das zugute. "Wir spielen jetzt Fußball. Die Spieler sind nicht wirklich andere, es ist die Art des Spielens. Jetzt dreht jeder auf", sagt der Offensivmann des FC Barcelona. Neben ihm sind neue Hoffnungsträger wie die Liverpooler Roberto Firmino und Philippe Coutinho aufgeblüht. Trainer Tite scheut sich allerdings auch nicht davor, einem Relikt wie dem früheren Bremer Diego wieder zu Nationalmannschafts-Ehren zu verhelfen. Der Erfolg gibt ihm bei der Wahl seiner Mittel recht. In acht Spielen unter Tite gab es acht Siege, da erübrigt sich jeder Zweifel. Nach dem 3:0 über Paraguay steht Brasilien vorzeitig als WM-Teilnehmer fest.

Als Cafú jüngst den WM-Pokal präsentierte, den die Fifa auf Südamerikareise geschickt hatte, konnte er sich die Schwärmerei nicht verkneifen. "Diese Schönheit wird 2018 wieder nach Hause, nach Brasilien kommen", versprach Rekordnationalspieler — selbst freilich nicht in der Verantwortung. Sich vom Druck, von der Erwartungshaltung loszusagen, die nichts anderes als das Maximale zulässt, das wird auch dieser Selecao nicht gelingen, aber vielleicht springt ja zwischendurch ein Weltmeistertitel raus. In der Fifa-Weltrangliste ist Brasilien hinter Argentinien schon wieder Zweiter. Gleich vor Deutschland.

(ak)
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