Deutsches Handball-Märchen Vom Außenseiter zur Nummer eins in Europa
Düsseldorf · Am Montag erst stießen Kai Häfner und Julius Kühn zum deutschen Team. Steffen Weinhold und Christian Dissinger hatten sich verletzt. Doch die Nachzügler demonstrierten eindrucksvoll, wie groß das Reservoir an guten Handballern derzeit in Deutschland ist. Häfner und der in Duisburg geborene Kühn, der sich nach nur fünf Länderspielen als Europameister fühlen darf, spielten wichtige Rollen in einer Mannschaft, von der elf der 16 Akteure im Finale jünger als 25 Jahre sind.
Der deutsche Handball steht, wenn die Spieler im Kopf klar bleiben, vor einer großen Zukunft. Der Isländer Dagur Sigurdsson hat es in 17 Monaten geschafft, eine Mannschaft zu formen, zu der nicht nur die Gold-Jungs von Krakau gehören. Vom 28er-Kader, den der Bundestrainer vor der WM 2015 in Katar benannt hatte, waren gerade mal neun noch bei der EM dabei. Vor dem Turnier fielen in Uwe Gensheimer, Patrick Wiencek, Patrick Groetzki und Paul Drux vier Stammspieler aus. Während der Endrunde kamen in Kapitän Weinhold und Dissinger zwei wichtige Rückraumakteure hinzu. Doch diese Mannschaft steckte alle Rückschläge weg.
Die Einstellung der Spieler, die Bereitschaft, für den Nebenmann da zu sein, wenn dieser ausgespielt worden ist, war ein Teil des Erfolges. Der andere gebührt Trainer Sigurdssson und seinen Assistenten. Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) beeindruckte mit einer überragenden Defensive. Die Spieler setzten die taktischen Vorgaben des Cheftrainers in einer Art und Weise um, die bei den Gegnern Respekt erzeugte. Obwohl sie das jüngste aller 16 EM-Aufgebote bildeten, traten die deutschen Profis ungewöhnlich cool, selbstbewusst und fokussiert auf.
Als krasser Außenseiter angereist und mit einer Auftakt-Niederlage gegen den späteren Endspielgegner Spanien gestartet, entfachten die Männer um den überragenden Torhüter Andreas Wolff eine Euphorie, die fast schon Ausmaße des Wintermärchens von 2007 annahm. Damals sicherten sich die Gastgeber durch den Finalsieg in Köln gegen Polen den WM-Titel. Neun Jahre später ist wieder eine deutsche Auswahl die Nummer eins - und das bei einer Europameisterschaft, bei der ein Titel wegen der Qualität der Teams und der Intensität der Spiele noch schwerer zu gewinnen ist.
Die Namen der Weltmeister von 2007 hatte man vorher schon mal gehört. Die Helden von Breslau und Krakau dagegen kamen für viele aus dem Nichts. Der Anfang ist gemacht. Doch die Klasse muss bestätigt werden. Am besten schon bei den Olympischen Spielen in Rio.