Handball Die Bundesliga spielt verrückt

Düsseldorf · Göppingen, Melsungen und Wetzlar ärgern Kiel und Flensburg-Handewitt, die als Favoriten auf den Titel gelten. Es könnte die Saison der Rhein-Neckar Löwen werden. In Kiel werden die Rückraum-Asse Palmarsson und Jicha vermisst.

 Die Rhein-Neckar Löwen könnten in dieser Saison für eine Überraschung sorgen.

Die Rhein-Neckar Löwen könnten in dieser Saison für eine Überraschung sorgen.

Foto: dpa, rw hak

Natürlich die Kieler! Dann die SG Flensburg-Handewitt und die Rhein-Neckar Löwen. Die Antwort auf die Frage nach den Mannschaften, die um den Meistertitel in der Handball-Bundesliga kämpfen, fiel den Experten leicht. Das Trio prägte die zurückliegenden Jahre. Doch nach sieben Spieltagen sieht die Realität anders aus. Allein die Rhein-Neckar Löwen haben die Erwartungen erfüllt. In Kiel und Flensburg macht sich Frust breit.

"Ich bin über viele Sachen sehr enttäuscht bei uns", sagte Alfred Gislason. Nicht die mit 21:29 höchste Niederlage in seiner über siebenjährigen Amtszeit in Kiel ärgerte den Isländer. Es waren die Hilflosigkeit sowie die zahlreichen technischen Fehler und Fehlwürfe, die dem Cheftrainer beim Spiel in Göppingen die Laune vermiest hatten.

Doch nicht nur der Titelverteidiger schwächelt. Auch die SG Flensburg-Handewitt, mit vier Siegen souverän in die Meisterschaft gestartet, hat drei Partien später bereits fünf Minuspunkte auf dem Konto. Die Liga spielt verrückt. Nur sechs Tage nach dem souveränen 30:25-Heimsieg gegen Kiel gab es für Flensburg in eigener Halle ein 32:33 gegen Melsungen. Drei Tage später schickte die HSG Wetzlar den Mitfavoriten mit einer 21:24-Niederlage zurück an die deutsch-dänische Grenze. Vor zwei Tagen dann feierten die Gastgeber das 30:30 gegen Berlin wie einen Sieg. Kein Wunder, hatte doch das Team des schwedischen Trainers Ljubomir Vranjes 44 Sekunden vor Schluss das 28:30 kassiert, ehe Lasse Svan und Henrik Toft Hansen - der Kreisläufer traf in letzter Sekunde - die Niederlage noch abwendeten.

Nach zwei vergeblichen Anläufen könnte es die Saison der Rhein-Neckar Löwen werden. Sieben Siege in der Meisterschaft, dazu der 22:21-Heimerfolg über Champions-League-Gewinner FC Barcelona zum Auftakt der Königsklasse - die Spieler des dänischen Cheftrainers Nikolaj Jacobsen stärken mit jedem Erfolg ihr Selbstbewusstsein.

Davon hätten sie in Kiel auch gerne mehr. Rückstände wie jüngst in Göppingen, als die Gäste erst nach 14 Minuten den Treffer zum 2:6 erzielten, gab es schon häufig. Doch wenn, wie am Mittwoch geschehen, beim 13:14 der Gegner in Schlagdistanz war, dann hieß der Sieger in der Regel: THW Kiel. Diese Selbstverständlichkeit ist verlorengegangen. Vor allem im Rückraum, zuletzt stets ein Garant für Erfolge, hapert es.

Der lange bekannte Wechsel von Aron Palmarsson zum ungarischen Topklub Veszprem und der unerwartete Verlust von Filip Jicha treffen den Rekordmeister härter als befürchtet. Der Kapitän hatte sich vor Jahren schon mit Immobilien verspekuliert. Er muss noch immer Schulden abbauen und hatte deshalb gebeten, zum FC Barcelona wechseln zu dürfen. Dort verdient der Tscheche mehr Geld und wird im Ligaalltag viel weniger gefordert als seine Kollegen in der Bundesliga.

Einen wie Palmarsson, der mit seinen überraschenden Würfen aus der Distanz eine Abwehr lockern konnte, haben die Kieler derzeit nicht. Gegen Göppingen erzielten der Kroate Damagoj Duvnjak, Welthandballer 2013, der Spanier Joan Canellas, Torschützenkönig der EM 2014, und der Serbe Marko Vujin, vor einem Jahr noch Bundesliga-Torschützenkönig, zusammen gerade einmal drei Feldtore. Es fehlen die Alternativen von der Bank und damit eine Qualität, die maßgeblich für die Erfolge war. Die Möglichkeit, zu wechseln und Spielern dringend benötige Erholungsphasen zu gönnen, fällt weg.

"Ich habe keine Ahnung, was da los war", sagte Kiels neuer Kapitän Rene Toft Hansen nach dem Alptraum von Göppingen. Es passte nicht viel zusammen. Im Angriff fehlte die Effektivität, woran Bastian Rutschmann großen Anteil hatte. Bei den Rhein-Neckar Löwen hatte der Torhüter lange im Schatten von Niklas Landin gestanden. Diesmal stahl er seinem ehemaligen Teamkollegen, der wie er den Verein verlassen hatte, die Schau. Mit jeder Parade wurden die Kieler nervöser, unsicherer beim Abschluss. Göppingen holte sich die Lust auf den Sieg in der Abwehr, beim Gegner passte auch hier die Abstimmung nicht, war Landin oft überfordert.

Die Bundesliga, seit Jahren die einzige Liga, in der auch Topteams kein Spiel mit "halber Lunge" gewinnen können, hat in ihrer 50. Saison noch mehr Überraschungspotenzial bekommen, hat ihre Qualität gesteigert. "Du kannst dir Spieler kaufen, aber du kannst das Spiel nicht mit Geld gewinnen", sagte Flensburgs Trainer Vranjes. Er meinte das Starensemble von Paris St. Germain, das seinem Team in der Champions League mit 32:39 unterlag. Vranjes hat vier Topleute bekommen. Aber ohne Leidenschaft und überragende Torhüter ist es schwer, in der Bundesliga zu siegen. Das weiß auch Vranjes.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort