"Brauchen vernünftige Lösungen" Überlastung der Handballer sorgt für Diskussionen

Ideen gibt es viele, Lösungen trotz zahlreicher Vorschläge keine: Die Diskussion über die hohe Belastung im Handball ist nach den vielen Verletzungen im deutschen Team wieder voll entbrannt.

Deutschland siegt im Thriller gegen Russland
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Foto: dpa, jkm mr

Spieler ächzen, Trainer klagen - doch die Funktionäre finden einfach keine vernünftigen Lösungen: Die öffentliche Diskussion über die ungeheure Belastung von Nationalspielern ist nach den vielen Verletzungen bei den deutschen Handballern wieder voll entbrannt. DHB-Vizepräsident Bob Hanning fordert nun einen "Runden Tisch" aller Beteiligten.

"Wir brauchen vernünftige Lösungen für unsere Spieler", sagte Hanning dem SID am Rande der EM in Polen und kündigte intensive Gespräche mit Vertretern aus der Bundesliga, den internationalen Spitzenverbänden und Spielerkreisen an. Konkrete Lösungsvorschläge wollte er (noch) nicht kommentieren. "Eine Vielzahl an Maßnahmen können greifen. Alles muss auf den Tisch", sagte der 47-Jährige, der parallel auch beim Bundesligisten Füchse Berlin als Geschäftsführer arbeitet. Nach der EM sei "ein guter Zeitpunkt darüber zu diskutieren, da das Verhältnis zwischen DHB und HBL zurzeit sehr harmonisch ist".

Hanning reagierte mit seinem Vorstoß auf die scharfe Kritik des deutschen Teamarztes Kurt Steuer. Angesichts der Verletztenmisere im DHB-Team hatte Steuer Alarm geschlagen, die Spieler seien "überspielt" und "massiv überlastet". Erst am Montag hatten sich bei der EM in Kapitän Steffen Weinhold (Muskelbündelriss im Oberschenkel) und Torjäger Christian Dissinger (Adduktorenverletzung) die Stammkräfte Nummer fünf und sechs abgemeldet. Bereits im Vorfeld des Turniers mussten Uwe Gensheimer (Achillessehnenreizung), Patrick Groetzki (Wadenbeinbruch), Patrick Wiencek (Kreuzbandriss) und Paul Drux (Schulter) passen.

Reduzierung der Bundesliga, Verschlankung der aufgeblähten Champions League, Vergrößerung der Kader, Reform der großen Turniere für Nationalmannschaften: Ideen für eine Veränderung des bestehenden Systems gibt es viele - doch für nachhaltige Lösungen fehlt es den Machern an Mut oder schlichtweg an der Einsicht der Notwendigkeit. Es gilt das Motto: Die Kuh muss gemolken werden, so lange sie Milch gibt. Umsatzsteigerung steht über allem, im Hintergrund nehmen die Planungen einer Weltliga immer schärfere Konturen an.

Leidtragende des ohnehin schon proppevollen Kalenders sind die Spieler. Auf bis zu 80 Einsätze jährlich kommen viele Profis, die in Bundesliga, DHB-Pokal, Champions League und Nationalmannschaft oft im Drei-Tage-Rhythmus gefordert werden. Nationalspieler stehen bei der EM an 16 Tagen bis zu achtmal auf der Platte - eine vernünftige Regeneration ist da unmöglich.

"Wir Handball-Profis sind am Ende", sagte Rechtsaußen Groetzki kürzlich dem Focus. Und auch DHB-Teammanager Oliver Roggisch fand schon vor der EM deutliche Worte für die aktuelle Situation. "Das Programm für die Champions-League-Teilnehmer Flensburg, Kiel und Löwen ist knallhart, die Belastung viel zu hoch. Seit Jahren reden wir darüber, doch es passiert nichts", sagte Roggisch dem Mannheimer Morgen: "Wenn man aber jetzt die ganzen Verletzten bei Kiel und den Löwen sieht, ist es an der Zeit, Dinge zu verändern und Lösungen zu erarbeiten, um die Topspieler zu entlasten."

Dies sehen die Verantwortlichen beim Branchenprimus THW Kiel genauso. Dort schiebt man den Schwarzen Peter allerdings in Richtung DHB. "Das Programm mit der Nationalmannschaft hat sich über die Jahre mindestens verdoppelt", sagte THW-Trainer Alfred Gislason den Kieler Nachrichten (Mittwochausgabe): "Es sind viel zu viele Turniere. Ich sage das schon zum 40. Mal. Alle freuen sich über die Nationalmannschaft, das ist wunderbar für Deutschland. Aber die Belastung steigt immer weiter und nichts passiert."

Angesichts der offensichtlichen Überlastung ist es kein Wunder, dass immer mehr Spieler wie der deutsche Weltmeister Holger Glandorf oder der schwedische Torjäger Kim Ekdahl du Rietz von den Rhein-Neckar Löwen aus freien Stücken nicht mehr für ihr Land auflaufen. Viele Stars flüchten inzwischen regelrecht vor der kräftezehrenden Bundesliga. In den anderen europäischen Topligen in Frankreich (14 Teams) und Spanien (16) sind die körperlichen Beanspruchungen deutlich geringer.

Zwar gibt es in Deutschland längst eine Spielergewerkschaft, doch die ist zu klein, um Einfluss zu nehmen. "Nicht alle Bundesligaspieler sind Mitglied, dadurch kann sich die Gewerkschaft nicht so einfach finanzieren", so Groetzki im ARD-Interview: "Da müssen wir alle mehr mitarbeiten und investieren, damit diese Gewerkschaft größer wird und wir uns vielleicht auch international besser zusammentun."

(seeg/sid)
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