Kolumne Gegenpressing Wie einst die Kunden des Pizzamannes

Düsseldorf · Die Handballer präsentieren sich so bodenständig wie die Weltmeister-Generation von 2007. Doch bei aller Sympathie: Auch diese Sportart hat ihre Macken.

 RP-Redakteur Martin Beils

RP-Redakteur Martin Beils

Foto: Phil Ninh

Es ist doch schön, wenn Dinge, die im Laufe eines jeden Jahres anliegen, schon Ende Januar erledigt werden. Die Steuererklärung zum Beispiel, der Besuch beim Zahnarzt oder die Wahl zur "Mannschaft des Jahres". Lasst die Fußballer Europameister werden, lasst die Bayern das Triple holen, lasst den Deutschland-Achter doch in Rio de Janeiro Olympia-Gold gewinnen, ganz egal. Dem Team, das gerade bei der Handball-Europameisterschaft so ansteckend begeistert, gebührt der Titel "Mannschaft des Jahres" — gleichgültig, auf welchem Rang es das Turnier in Polen nun beendet.

Während im Fußball der Bus großflächig mit dem Werbeslogan "Die Mannschaft" beklebt wird, leben die Handballer den Teamgeist, ohne viel Aufhebens darum zu machen. "Der Dagur" (die Spieler sprechen Trainer Sigurdsson, wie es in dieser Sportart üblich ist, mit dem Vornamen an) hat es geschafft, dass das Gesamtwerk deutlich besser ist, als es die Qualitäten der einzelnen Akteure vermuten lässt. Dieser Vertreter des im Sport und gerade im Trainerwesen überaus bemerkenswerten 350.000-Volkes aus dem Nordatlantik moderiert das Gefüge mit großem Geschick.

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Es sind Kleinigkeiten, die Deutschlands beste Handballer so nahbar machen. Zum Beispiel, dass sie nicht jammern, wenn mal wieder ein Spieler wegen Verletzung ausfällt. Dass das Thema Erfolgsprämie bis nach Turnierende zurückgestellt wird. Oder dass der isländische Coach die deutsche Hymne mit größter Selbstverständlichkeit singt (das soll nicht heißen, dass jeder verpflichtet sein sollte, "Einigkeit und Recht und Freiheit" zu singen).

Diese Generation tritt das Erbe der Wenn-nicht-jetzt-wann-dann-Weltmeister von 2007 an. Auch Pommes, Mimi & Co. präsentierten sich als eine bodenständige Gemeinschaft. Am besten kam das übrigens im wunderbaren Film "Projekt Gold" zum Ausdruck. Und zwar in der Szene, als Trainer Heiner Brand fassungslos feststellen musste, dass einige Spezialisten aus seinem Team den Pizzamann für einen deftigen Nachtisch ins Hotel bestellt hatten.

Aber machen wir uns nichts vor, natürlich gibt es auch in dieser nach außen so harmonisch wirkenden Gemeinschaft Einzelinteressen und persönliche Enttäuschungen. Die Sepp-Herberger-Forderung "Elf Freunde sollt ihr sein" funktioniert im Hochleistungssport nur bedingt. Natürlich brennt jeder auf seine Einsatzzeiten. Und grundsätzlich ist die Welt des Handballs auch keine bessere als die anderer Sportarten.

Es sei nur daran erinnert, dass die deutsche Mannschaft zur Teilnahme an der WM 2015 in Katar (ja, in eben jenem Katar!) eine Wildcard in Anspruch nahm. Ganz gegen grundlegende Prinzipien des Sports. Der zumindest laxe Umgang von Mimi Kraus mit dem Thema Dopingkontrollen wirft ein schlechtes Licht und der übermäßige Einsatz von freilich erlaubten Schmerzmitteln ist unter den hoch beanspruchten Bundesligaspielern alltäglich.

Trotz solcher Makel: Die "Mannschaft des Jahres" steht. Und nach dem sensationellen Erfolg der Tennisspielerin Angelique Kerber gegen Serena Williams im Finale der Australian Open am Samstagvormittag, ist auch das Thema "Sportlerin des Jahres" erledigt. Steuererklärung und Zahnarzt müssen hingegen warten.

Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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