Gensheimer zurück an Bord "Mein Vater hätte es so gewollt"

Rouen · Der Kapitän ist wieder an Bord, die Titel-Jagd kann beginnen: Zehn Jahre nach dem Wintermärchen und zwölf Monate nach dem überraschenden EM-Triumph wollen die deutschen Handballer bei der WM in Frankreich wieder für Furore sorgen. Uwe Gensheimer kann spielen.

Handball-WM 2017: Das DHB-Aufgebot
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Das DHB-Aufgebot für die WM in Frankreich

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Foto: dpa, gki soe nic

Erst genoss Uwe Gensheimer die Umarmungen seiner Mitspieler, dann schnürte der Kapitän der deutschen Handballer seine Turnschuhe und warf sich in WM-Stimmung: Als Gensheimer um 18.37 Uhr am Donnerstagabend, das Abschlusstraining hatte da längst begonnen, das Spielfeld der Kindarena betrat, war die Erleichterung bei den Bad Boys deutlich spürbar. Vor allem Bundestrainer Dagur Sigurdsson pustete kräftig durch.

"Es ist schön, dass er zurückkommt", sagte Sigurdsson dem SID. Er hoffe, dass der mit einem Tag Verspätung angereiste Gensheimer sich nach dem plötzlichen Tod seines Vaters einigermaßen auf das Turnier konzentrieren könne, "aber wie ich ihn kenne, ist er heiß. Wir werden ihn sofort brauchen."

Und ob. Im kniffeligen WM-Auftaktspiel gegen Ungarn ist der Europameister gleich voll gefordert. "Sie sind ein Gegner, der sehr im Kommen ist. Wir haben einen Riesenrespekt. Es wird ein hartes Spiel", sagte Sigurdsson mit Blick auf die Partie am Freitag (17.45 Uhr/handball.dkb.de). Ungarn sei "ein direkter Konkurrent" im Kampf um die ersten drei Plätze.

Dahmke liegt flach

Ganz sorgenfrei blickte Sigurdsson tatsächlich nicht drein - was aber wohl vor allem an der weiterhin angespannten Personalsituation lag. Denn auf die gute Nachricht der Gensheimer-Anreise folgte die schlechte: Wegen einer Grippe ist Rune Dahmke angeschlagen. Das Abschlusstraining am Abend fand ohne den Linksaußen vom THW Kiel statt, sein Einsatz ist fraglich.

Gensheimer kam nach dem unerwarteten Trauerfall in der Familie unterdessen nach sechseinhalb Stunden auf der Autobahn direkt in die Halle. "Es ist wichtig, dass wir ihn gut empfangen und er sich wohlfühlt", sagte Sigurdsson. Gensheimer, der in Begleitung von Teammanager Oliver Roggisch in die Normandie reiste, hatte zuvor grünes Licht für einen Einsatz gegeben.

"Ich werde die Weltmeisterschaft spielen", sagte Gensheimer: "Das hätte mein Vater so gewollt." Gleichzeitig bat er um Verständnis, dass er sich "hierzu während der WM nicht weiter äußern werde". Zur Beerdigung wird Gensheimer, der die Generalprobe gegen Österreich (33:16) noch verpasst hatte, in der kommenden Woche noch einmal nach Deutschland fahren.

Eine solch schwierige persönliche Situation hatte auch Ex-Weltmeister Holger Glandorf vor der EM 2008 erlebt, als sein Vater wenige Tage vor dem Turnierbeginn starb und sich der Flensburger dennoch für die Reise nach Norwegen entschied. In Frankreich wird der mittlerweile 33 Jahre alte Rückraumspieler zunächst nicht dabei sein, doch er könnte Deutschland im Laufe des Turniers verstärken.

Denn Sigurdsson kündigte am Donnerstag an, zunächst nur 15 statt möglicher 16 Spieler zu melden. Während des Turniers sind damit nicht nur zwei Wechsel mit Profis aus dem 28-Mann-Kader möglich, sondern über das sogenannte "Late Entry" gibt es eine weitere personelle Option. Dann könnte die Stunde von WM-Edeljoker Glandorf schlagen.

Der Großteil des DHB-Tross hatte Rouen am späten Mittwochabend nach fast zehn Stunden Busreise erreicht. Der guten Stimmung und der Vorfreude im Team auf den Turnierstart konnten die Reisestrapazen allerdings nichts anhaben. Schon im ersten WM-Duell wollen Keeper Andreas Wolff und Co. ein Ausrufezeichen setzen.

Deutschland kommt mit der breiten Brust des Europameisters, des Olympiadritten von Rio. "Wir wollen Weltmeister werden", sagte Wolff zuletzt bei beinahe jeder Gelegenheit und erzeugte damit eine hohe Erwartungshaltung rund um die DHB-Auswahl, die in Frankreich auf sieben EM-Helden verzichten muss. In der Gruppenphase soll sich das neu formierte Team in den Duellen gegen Chile (15. Januar), Saudi-Arabien (17. Januar), Weißrussland (18. Januar) und Kroatien (20. Januar) weiter finden.

Die offensive Zielsetzung des extrovertierten Keepers befürwortet der ehrgeizige Vizepräsident Bob Hanning. "Wenn man von innen heraus sagt, man kann um den Titel mitspielen, dann soll man das ruhig tun", sagte der 48-Jährige im SID-Interview: "Aber die Spieler müssen sich mit ihren Leistungen natürlich auch daran messen lassen."

Hanning betonte, dass er der Mannschaft und dem nach der WM gen Japan wechselnden Sigurdsson vertraue. Er glaube, dass man "an jedem Tag mittlerweile jede Mannschaft schlagen" könne. Auch, weil die Gier nach Siegen weiter groß sei. "Wenn du einmal so einen Erfolg hattest, dann weißt du, wie er schmeckt", sagte Hanning. In den Genuss dieses Geschmacks wollen die deutschen Handballer auch in Frankreich kommen.

(dpa)
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