Nationalmannschaft Gündogan stellt Löw vor Luxusprobleme

Glasgow · In den Länderspielen gegen Polen und Schottland überzeugt der Dortmunder wie zu besten Zeiten. Der Bundestrainer lobt den Mittelfeldspieler in höchsten Tönen und stellt ihm einen der umkämpften Stammplätze in Aussicht.

Ilkay Gündogan bei der EM 2021 - Straßenfußballer aus dem Pott mit türkischen Wurzeln bei ManCity
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Das ist Ilkay Gündogan

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Als der letzte Eckball in den deutschen Strafraum fliegt, haben 52 000 Zuschauer den Hampden Park in Glasgow längst in eine Stehplatz-Arena verwandelt. Der Lärmpegel erreicht selbst für schottische Verhältnisse außerordentliche Ausmaße. Doch der ersehnte Erfolg bleibt aus. Weltmeister Deutschland gewinnt das EM-Qualifikationsspiel in Schottland mit 3:2. Und sein Trainer Joachim Löw stellt fest: "Wir haben einen großen Schritt Richtung EM-Turnier in Frankreich gemacht. Unser Anspruch war, die beiden Spiele gegen Polen und Schottland zu gewinnen. Das haben wir geschafft."

Ganz nebenbei ist sein Team zumindest über weite Strecken der beiden Begegnungen dem eigenen Anspruch auf sehenswerten Fußball gerecht geworden. Auch in Glasgow laufen viele Angriffe flüssig und elegant gegen eine Mannschaft, die nach Löws ein wenig überheblicher Ansicht "nur mit langen Bällen operiert hat". Aus dem Spiel heraus habe seine Auswahl den Schotten "keine Torgelegenheit gelassen", urteilt der Bundestrainer. Über das Durcheinander in seiner Abwehr bei zwei Standardsituationen, mit denen Schottland zweimal die deutsche Führung ausgleicht, verliert er kein Wort. Er gestattet sich auf Nachfrage allenfalls die Bemerkung, dass es ihm "keine Sorgen" bereite.

Lieber als mit der Sammlung kleiner Aussetzer beschäftigt er sich mit positiven Erkenntnissen aus den ersten beiden Pflichtspielen der Länderspielsaison, die Deutschland erstmals und rechtzeitig vor den beiden letzten Spielen an die Spitze seiner Qualifikationsgruppe bringen. Da ist in erster Linie die wiedererwachte fußballerische Qualität, die DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ebenfalls lobt und preist. "Es ist schön zu sehen, dass elf Fußballer auf dem Platz stehen", sagt der Präsident. Zur Eröffnung des Spiels tragen die Abwehrspieler bei, von denen allein der ungelernte Rechtsverteidiger Emre Can durch eher ungelenke Versuche unangenehm auffällt.

Das Prunkstück der Mannschaft bleibt die Offensive. Gesteuert wird sie aus dem Maschinenraum des Mittelfelds, in dem Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger in einer fußballgerechten Form des Quarterbacks agieren. Das Verbindungsglied in die vorderen Reihen ist Ilkay Gündogan. Vom Dortmunder Feingeist schwärmt sein Trainer bereits nach dem Polen-Spiel. In dieser Form sei er "eigentlich nicht zu ersetzen", sagt Löw. Und er hört mit den Hymnen nach der Partie in Glasgow nicht auf. "Er ist auf engem Raum sehr gut, und er gibt auch der Defensive mehr Stabilität", erklärt der Bundestrainer. Gündogan schließt die Lücke zwischen den Taktgebern Kroos und Schweinsteiger. Und er spielt sich mit einer beeindruckenden Leichtigkeit vors Tor. Sein Treffer zum 3:2 in Schottland zeigt das alles in einer einzigen Aktion. "Für mich und mein Team war das absolut zufriedenstellend", betont Löw, "er hat bewiesen, wie wertvoll er für die Mannschaft ist, seine Rolle kann gar nicht überschätzt werden." Gündogan ist neben Bayern-Spieler Mario Götze einer der Gewinner dieser Reise in den Frühherbst.

Löw könnte noch weitere Kandidaten nennen. Die Innenverteidiger Jerome Boateng und Mats Hummels hat er längst durch das Prädikat "Weltklasse" geadelt. Und die Vorstellungen von Thomas Müller sprechen für sich. Zwei Treffer erzielt er in Glasgow, beide auf seine typische Art. Beim ersten gerät er nach ein paar Schubsern ins Stolpern, hält sich aber auf den staksigen Beinen und trifft irgendwie mit einem abgefälschten Schuss. Beim zweiten steht er nach einem Schuss von Can einfach an der richtigen Stelle.

Er trifft, weil er das unbedingt will, was ihn von seinen mitunter dem jugendlichen Spieltrieb erliegenden Angriffskollegen sehr unterscheidet. Was ihn heraushebt, ist sein Gefühl für den Moment. "Er hat ein Näschen dafür, wohin der Ball kommt", urteilt Löw mit einem angemessenen Ton der Begeisterung im Unterton, "das kann man so nicht lernen."

Erklären kann man es auch nicht. Müller gibt sich da keine Mühe. "Es läuft gerade", sagt er, "ich fühle mich gut, die Bälle fallen gut, ich treffe die richtigen Entscheidungen." Das schafft er nicht nur unmittelbar vor dem Tor, sondern auch als Vorbereiter auf dem Weg dahin. Er ist der Assistent bei Gündogans 3:2.

Solche Aktionen nähren in der DFB-Auswahl die Hoffnung, dass die schwerfällige Phase nach dem WM-Titel überstanden ist. Der Weltmeister darf sich schon wieder zum engeren Favoritenkreis auf die Europameisterschaft rechnen. Zweifel an der Teilnahme sind nach den beiden Siegen rein theoretischer Natur. "Die Mannschaft", sagt Niersbach für alle, "macht das Anfang Oktober in Irland klar."

Das ist alles andere als verwegen.

(pet)
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