Interview: Günter Netzer Katar war eine Fehlentscheidung

Der Star der 70er Jahre spricht über die WM, seinen alten Klub Mönchengladbach und die Bundesliga.

düsseldorf Aus den Fenstern im 18. Stock des Vodafone-Hauses am Düsseldorfer Seestern hat man einen grandiosen Blick über die Stadt. Hier treffen wir Günter Netzer (70), der gerade seinen Vertrag als Werbepartner mit dem Unternehmen Otelo verlängert hat. Netzer muss für Fotos posieren, er wird bestaunt, der Sicherheitsmann zeigt ihm Werbekarten. Netzer erledigt alles mit großer Geduld und einem leisen Lächeln. Der ehemalige Fußballstar, Manager und TV-Experte ist immer noch im Geschäft, als einer der Direktoren des Schweizer Sportmarketingunternehmens Infront.

Sie haben das Spiel zwischen Ihrem alten Klub und Bayern verfolgt, was sagen Sie zur Entwicklung bei Borussia Mönchengladbach?

Netzer Da kann ich nur Bewunderung aussprechen. Ich sage aber: Es muss jetzt geschafft werden, das für die Saison zu erhalten. Es darf nicht wieder derartige Rückschläge geben. Die Gladbacher haben die Möglichkeit, einen Champions-League-Platz zu erreichen, wenn sie die Leistung stabilisieren. Sie müssen ihre Ziele nicht reduzieren.

Nur die Bayern sind nicht zu stellen. Was kann die Bundesliga tun, um den Abstand zu verkürzen?

Netzer Das ist nicht auf Knopfdruck zu machen. Wenn Sie sehen, was Dortmund für Schwierigkeiten hat, die einzige Mannschaft, die ausersehen war, den Bayern Paroli zu bieten, dann ist es bei den anderen noch unwahrscheinlicher, dass sich das innerhalb der nächsten fünf Jahre verändert.

Was ist denn mit Dortmund in der Bundesliga los?

Netzer Das versteht eigentlich keiner. Das ist aber innerhalb kürzester Zeit zu revidieren. Ich sehe, dass die Mannschaft charakterlich in Ordnung ist. Dass sie viele Verletzte hat, und was die Weltmeisterschaft für einen Einfluss hat, das kann ich schon fast nicht mehr hören. Ich glaube, dass sie eine Serie startet, die sie wieder heranbringt. Unwahrscheinlich, dass sie die Bayern noch gefährden kann.

Hat die WM Trends geboten?

Netzer Nein, diese WM hat keine revolutionären Entwicklungen gebracht. Es haben die Besten gewonnen, das waren wir. Aber der Fußball allgemein hat sich entwickelt. Viele Mannschaften, die selbst nicht das Potenzial haben, profitieren davon, dass ihnen gezeigt wird, wie kultivierter Fußball aussieht. Das merke ich teilweise in den unteren Regionen, da wird versucht, kein Hauruck mehr zu spielen. Aber der ganz große Fußball wird bestimmt durch die ganz großen Stars. Und die gibt es nach wie vor. Das ist schön, dass wir was zu sehen kriegen.

Von unserer Mannschaft gab es nach der WM noch nicht so viel zu sehen. Muss man Bedenken haben?

Netzer Es ist übertrieben, Bedenken zu haben. Wir sind in einer Phase, mit der wir vielleicht nicht gerechnet haben. Wir werden keine Probleme haben, die Qualifikation zu schaffen, aber der ganz große Rhythmus ist noch nicht wieder aufgekommen. Das wird kommen. Diese Mannschaft ist ja nach wie vor entwicklungsfähig. Es ist nicht so, dass sie am Rande ihrer Leistungsfähigkeit arbeitet. Sie besitzt viel Potenzial und hat ganz viele junge Spieler in der Hinterhand. Und die Etablierten sind ja auch noch jung.

Zu Ihrer Zeit mussten die jungen Spieler drei Jahre lang Bälle tragen.

Netzer Das war auch nicht so schlecht.

Eine richtige Ausbildung wie heute gab es aber nicht.

Netzer Wir waren Autodidakten. Ich kann mich erinnern, dass ich auf der Straße privilegiert war mit meinem echten Lederball. Ich hab tausendmal gegen die Wand geschossen und dadurch meine Technik verbessert. Wir hatten ja keine professionellen Trainer.

Ein Blick in die Ferne auf die WM Russland und Katar. Es gibt viel Kritik an der Vergabe, was sagen Sie?

Netzer Katar ist eine glatte Fehlentscheidung gewesen, wie immer das zustande gekommen ist. Es geht nicht, dass da zu der üblichen Jahreszeit gespielt wird. Man hat sich selbst in ein Dilemma hineinmanövriert, aus dem man schleunigst herauskommen muss. Russland ist ebenfalls ins Gerede gekommen.

Sie haben Ihren 70. Geburtstag und sind immer noch mitten im Geschäft.

Netzer Wenn Sie wüssten, bei mir rieselt der Kalk, mein lieber Mann.

Haben Sie nicht mal daran gedacht, es langsamer angehen zu lassen?

Netzer Nein, aber meine Tätigkeiten wurden ja zu allen Zeiten überschätzt. Ich hab nie so viel gearbeitet, wie man mir zugedacht hat. Viele Fußballer sagen, dass sie privilegiert sind. Ich gehe einen Schritt weiter und glaube, ohne esoterische Mächte zu bemühen, dass ich ferngesteuert bin. Viele meiner Entscheidungen kann ich nicht nachvollziehen. Dieses Pokalfinale kann doch kein Mensch verstehen (Netzer wechselte sich 1973 gegen Köln ein und erzielte das entscheidende Tor zum 2:1/Anm. d. Red.). Und dass das auch noch gut ausgeht.

Ist Ihnen der HSV auch zugelaufen?

Netzer Ich saß da in der Schweiz und hatte nichts zu tun. Der Präsident glaubte, ich könne Manager sein, aber ich wollte nur die Stadionzeitschrift. Das kann ich, habe ich gesagt. Dann haben wir uns geeinigt, dass ich beides mache.

Von der Zeitschrift redet keiner mehr.

Netzer Ich hatte viel Glück. Warum habe ich Happel verpflichtet? Ich habe ihn nur einmal gesehen und wie seine Mannschaft spielt. Da habe ich erkannt, das muss ein großer Trainer sein. Dann hab ich es riskiert, ich habe immer einen gewissen Mut zum Risiko gehabt.

Sie gehören zu den wenigen Menschen, die zu Lebzeiten für ihr Lebenswerk ausgiebig gefeiert werden.

Netzer Das ist schön. Ich hab wenig gelesen. Aber auch wenn ich alles gelesen hätte, hätte sich mein Leben nicht verändert. Mein Naturell und mein Charakter sind, dass ich das eine wie das andere einschätzen kann. Es ist meistens in die eine oder andere Richtung übertrieben. Dass mich die Anerkennung wahnsinnig freut, ist normal. Ich weiß aber, was ich kann und was ich nicht kann. Und ich weiß, wo ich herkomme, deswegen war es gefahrlos, dass es mein Leben verändert.

Ihr Freund Uli Hoeneß muss mit einem sehr veränderten Leben klarkommen. Sie haben ihn besucht, mit welchen Gefühlen?

Netzer Ich habe mich jedenfalls besser gefühlt als Ottmar Hitzfeld, der mit mir in Landsberg war. Er war noch nie im Gefängnis und wusste nicht, wie das ist, wenn sich die Türen schließen. Das ist schon etwas Besonderes. Und dann, wenn der Uli Hoeneß da rauskommt als Gefangener und erzählt, wie sein Leben da ist. Ich habe größte Bewunderung empfunden für ihn, weil er das so gemeistert hat. Auch zu meinem Leben gehört das Wort Akzeptanz. Er hat seine Situation angenommen, er lebt genau nach diesen Richtlinien, die sein müssen. Er hat keine Privilegien, die will er auch nicht. In guter Verfassung habe ich ihn angetroffen, ganz stolz hat er sein Gewicht hergezeigt.

Der HSV steckt im Abstiegskampf. Leipzig drängt auf den Aufstieg. Würde die Bundesliga ärmer, wenn Leipzig nach oben kommt?

Netzer Ich weiß nicht, warum man Leipzig und Hoffenheim etwas vorwirft, das ist mir unbegreiflich. Sie tun nichts Unrechtes. Was Dietmar Hopp in Hoffenheim leistet, ist toll - auf sozialem Gebiet ebenfalls. Der HSV hat einfach nicht aufgepasst. Die Traditionsvereine müssten den Fußball besser kennen. Er hat sich nicht verändert, wenn es um die Voraussetzungen für den Erfolg geht. Dazu gehört eine seriöse Führungspersönlichkeit, eine Gemeinschaft, die fähig ist, die mit der Öffentlichkeit umgehen kann, die einen sportlich fähigen Mann an der Spitze hat und einen Trainer, der das umsetzen kann. Das ergibt sportlichen Erfolg.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ROBERT PETERS UND THOMAS SCHULZE

(RP)
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