Bayer Leverkusen Kießling: "Ich werde zum Glück nicht an Toren gemessen"

Leverkusen · Stefan Kießling trifft derzeit nicht. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der 30-Jährige, warum er mit Bayer Leverkusen momentan in der Bundesliga hinterherhinkt. 814 Minuten hat der Stürmer kein Tor mehr in der Bundesliga erzielt – die längste Durststrecke seiner Karriere.

Stefan Kießling – Franke, Torschützenkönig, verhinderter Nationalspieler
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Stefan Kießling trifft derzeit nicht. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der 30-Jährige, warum er mit Bayer Leverkusen momentan in der Bundesliga hinterherhinkt. 814 Minuten hat der Stürmer kein Tor mehr in der Bundesliga erzielt — die längste Durststrecke seiner Karriere.

Herr Kießling, wie ärgerlich ist es, zwei Wochen zu warten, bis die Chance da ist, die Torflaute zu beenden?

Kießling (lächelt) Ich hatte zuletzt ja genug Möglichkeiten, die Durststrecke zu beenden. Es ist mir nicht geglückt. Vielleicht tut eine Pause auch mal ganz gut, um den Tank wieder aufzufüllen.

Es ist die längste torlose Zeit Ihrer Karriere. Wie geht man damit um?

Kießling Es belastet mich nicht, ärgert mich aber sehr. Ich werde aber zum Glück nicht an den Toren gemessen. Das gibt Rückendeckung.

Müssen Sie sich in der Kabine Spott gefallen lassen?

Kießling Eigentlich überhaupt nicht. Es sind eher aufbauende Worte: "Heute bist du dran. Heute machst du mal einen." Oder: "Du machst dein Tor heute schon noch." Ich denke mir dann immer: "Ja ja, irgendwann klappt's schon wieder." (lacht)

Sie haben in jedem der 19 Pflichtspiele gespielt. Wie wichtig sind die zwei Wochen Regeneration?

Kießling Ich bin immer froh über die Länderspielpausen, um den Akku wieder aufzuladen. Man ist doch ein bisschen leer. Sowohl von der Kraft her als auch vom Kopf. Es waren schon intensive Wochen.

Welcher Akku ist denn leerer: Kopf oder Körper?

Kießling Es ist wichtig, beides wieder vollzubekommen. Wir können zwar nicht viel trainieren, trotzdem steht man immer unter Spannung. Man spielt alle drei Tage, konzentriert sich immer wieder auf den nächsten Gegner.

Hat diese mentale Belastung durch die genaueren Videoanalysen in den vergangenen Jahren zugenommen?

Kießling Ich finde, wir machen das gut. Es kommt natürlich immer auf den Trainer an. Manche machen gar keine Videoanalyse, manche etwas mehr. Ich finde, wir machen das gut. Wir gucken teilweise, wie der Gegner spielt, aber dann auch extrem auf uns. Und stellen uns mit den Verbesserungen unseres Spiels auf den Gegner ein. Daraus haben wir schon viel gelernt.

Ihre Gegner sind dem aggressiven Pressing zuletzt mit langen Bällen aus dem Weg gegangen. Dadurch hat sich der Spielstil von Bayer etwas verändert. Wie bewerten Sie, was derzeit auf dem Platz passiert?

Kießling Wir machen sehr viele Dinge richtig. Wir lassen kaum Torchancen zu, spielen uns viele Chancen heraus, aber machen zu wenig Tore. In St. Petersburg haben wir aus wenig viel gemacht. Sonst machen wir zurzeit aus viel wenig. Deswegen laufen wir in der Tabelle hinterher.

Anfang der Saison hat Ihr Team viele Tore geschossen, wenige bekommen. Nun kassieren Sie noch weniger, schießen aber auch nicht mehr so viele. Stimmt die Balance weiterhin nicht?

Kießling Wir müssen einfach vorne das Tor machen. Viele fragen: Passt das System denn? Muss man da was ändern? Also: Jeder, der ein bisschen Fußball-Sachverstand hat und ein bisschen unser Spiel verfolgt, sieht, dass da eigentlich alles passt. Wir erarbeiten uns Torchancen ohne Ende. Was fehlt?

Die Tore.

Kießling Genau. Das ist, was uns fehlt und nichts anderes. Wir müssen vorne die Tore machen.

Wie groß ist dabei der psychische Faktor?

Kießling Was heißt psychischer Faktor? Da kommt gegen Mainz Robbie [Kruse, Anm. d. Red.] rein. Der hat eine super Chance. Im Training haut er den Ball ins kurze Eck. Karim [Bellarabi, Anm. d. Red.] hat eine Chance, die er im Training auch blind reinmacht. Ich habe Pech gehabt, dass der Verteidiger direkt vor mir stand, sonst wäre er vermutlich ins kurze Eck gegangen. Klar, es kommen viele Dinge zusammen. Ich will es nicht nur aufs Pech schieben. Natürlich müssen wir den einen oder anderen Treffer machen.

In der Champions League läuft es, in der Bundesliga nicht. Liegt das nur an der Chancenverwertung?

Kießling Ja. International haben wir die Tore erzielt und in der Bundesliga nicht. Wir hätten gegen Mainz auch 3:0 oder 4:0 gewinnen können und keiner hätte gesagt: "Oh, das war ein Tick zu hoch." Jetzt heißt es: "Es war zu wenig." Und es war ja auch zu wenig. Wir sehen das ein. Aber es hat nichts mit der Spielweise zu tun. Wir machen nichts falsch, wir treffen nur nicht.

Egal, mit wem ich im Verein gesprochen habe, es hieß von allen Seiten: Wir wollen mal wieder einen Titel — und der realistischste sei der DFB-Pokal. Wie erklärt sich dann so eine schwache Leistung beim Regionalligisten Magdeburg, wo man am Ende glücklich im Elfmeterschießen weiterkam?

Kießling Das war einfach Pokal. Ich glaube, wenn wir in der Bundesliga gegen einen Aufsteiger nach drei Minuten 1:0 in Führung gehen, tut sich da normalerweise nichts mehr. Aber es war Pokal. Es war schwer auf dem Platz, der Ball war eine Katastrophe, und die Stimmung war super. Wir sind nachlässig geworden und das darf nicht passieren. Dann kam die Rote Karte, und wir hatten schwere Beine durch die vielen englischen Wochen. Da kam einfach viel zusammen.

War es lehrreich?

Kießling Sicherlich. Genau wie das 3:3 in Stuttgart. Danach haben wir viele Sachen besser gemacht.

Mit Josip Drmic standen sie das einzige Mal im Pokal in der Startelf. Wie bewerten Sie das Zusammenspiel?

Kießling Es ist schwierig für ihn. Er spielt nicht viel und bekommt dann noch in so einem ungemütlichen Spiel in Magdeburg seine Chance. Er hat aber sehr großes Potenzial, was er mit Sicherheit noch ausschöpfen wird. Es funktioniert mit Hakan [Calhanoglu, Anm. d. Red.] vorne zusammen natürlich ziemlich gut, dann ist es für ihn nicht einfach.

Muss Drmic als Einwechselspieler noch mehr Ehrgeiz entwickeln?

Kießling Ich bin auch nicht der Einwechselspieler-Typ. Es ist als Stürmer schwierig. Als 18- oder 19Jähriger ist man froh, überhaupt dabei zu sein. Aber er hat ja schon ein paar Jahre im Profibereich hinter sich und immer gespielt. Dann ist es schon schwierig für einen Stürmer.

In der aktuellen Ausgabe von "11 Freunde" habe ich gelesen, Kapitän Simon Rolfes wird in der Kabine "Streber" genannt. Was ist da dran?

Kießling (lacht) Ich will nicht sagen, dass er ein Streber ist. Aber er plant schon sehr vorausschauend seine Karriere nach der aktiven Zeit.

Simon Rolfes rät dazu, sein Geld schon während der aktiven Zeit sinnvoll anzulegen, damit es danach irgendwann nicht knapp wird. Haben Sie sich schon Tipps geholt?

Kießling Nein. Ich habe nach der Schule direkt mit der Ausbildung angefangen und habe mit 15 Jahren mein eigenes Geld verdient. Ich musste also schon in frühen Jahren mit Geld umgehen können — und das machen meine Frau und ich auch heute noch ganz gut. Wir achten darauf, dass es uns gut geht. Wir denken an die Kinder und auch an die Zukunft.

Haben Sie schon eine fixe Idee für die Zeit nach der Karriere?

Kießling Nein. Ich hoffe, dass ich noch einige Jahre spielen kann. Manchmal denke ich zwar (lacht): "Puh, es ist noch ein bisschen hin bis zum Karriereende." Aber es ist der schönste Beruf, den will ich längstmöglich ausüben. Was ich danach mache, weiß ich nicht. Ich werde aber auf keinen Fall ein Studium machen oder so etwas. Ich werde definitiv keine Bücher mehr in die Hand nehmen und pauken.

Sie sind 30 Jahre alt. Früher war das das perfekte Fußballalter. Mittlerweile ist das nach vorne gerückt. Wie lange wollen Sie noch spielen?

Kießling Ab einem gewissen Punkt wird man sich eingestehen müssen, dass es für die Bundesliga nicht mehr reicht. Wenn man ein Jahr hat, in dem man nicht verletzt ist und trotzdem nicht zum Zug kommt, sollte man hellhörig werden.

Und dann?

Kießling Ob ich dann noch mal in der dritten oder vierten Liga spielen will, weiß ich noch nicht. Vielleicht werde ich auch Spielertrainer in der AKlasse. Ich glaube schon, dass ich auch mit 45 oder 50 noch auf dem Platz stehen kann. Ob es bei den Alten Herren ist oder sonst irgendwo.

(RP)
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