Paris Kimmich schlägt ein

Paris · Der Verteidiger ist noch lange nicht so gut wie Ex-Kapitän Philipp Lahm. Doch der 21-jährige EM-Debütant ist auf einem sehr guten Weg.

In Deutschland geht es einfach nicht ohne Philipp Lahm. Darüber sind sich Heerscharen von Experten seit dem Rücktritt des ewigen Verteidigers einig. Deshalb wurde Joshua Kimmich nach seinem erstaunlichen EM-Debüt als rechter Verteidiger gegen Nordirland auf dem Boulevard dankbar und eilig zum "jungen Lahm" ernannt. So weit ist es noch nicht, aber was der 21 Jahre alte Münchner beim viel zu niedrig ausgefallenen 1:0-Erfolg zum Gruppensieg und Achtelfinal-Einzug der deutschen Nationalmannschaft in Paris beitrug, war auf jeden Fall ein Versprechen auf eine große Zukunft.

Kimmich belebte mit ausdauernden Sprints in die Tiefe des nordirischen Abwehrraums das deutsche Spiel. "Er hat", sagte Bundestrainer Joachim Löw, "vorn für viel Bewegung gesorgt." Kimmichs Läufe waren ein ständiges Angebot an die Mitspieler, er stand immer für ein Anspiel zu Verfügung. Und weil er seinen Job am Ball mit Spielintelligenz versah, lief der Aufbau erstmals in diesem Turnier ohne großes Stocken. Es war folgerichtig, dass Kimmich an vielen Kombinationen, die zur Chancenflut beitrugen, entscheidend beteiligt war. "Ich habe ihn sehr gut gesehen", erklärte Löw, "er hat gute Wege gemacht und gute Flanken geschlagen."

Und der Bundestrainer machte eine überraschende Feststellung: "Ich habe keine Anzeichen von Nervosität erkennen können." Da ging es ihm nicht anders als den Augenzeugen im Stadion oder den Millionen TV-Zuschauern. Kimmich lieferte eine reife Vorstellung ab.

Zittrige Beine und Premierenangst kennt er nicht. Die passen auch nicht zu seinem Selbstbild. Kimmich ist ein Profi einer neuen Generation, selbstbewusst, lässig, ohne Zweifel am eigenen Können. Das geht bis an die Grenze der Arroganz. Es waren nicht viele in München völlig begeistert, als der gerade mal 20-Jährige nach seiner Verpflichtung den hochverehrten Weltmeister und von den Bayern-Fans in Sprechchören als Fußballgott gefeierten Bastian Schweinsteiger kühl als einen Konkurrenten um den Platz im Mittelfeld" abtat.

Darum wäre es falsch, Kimmichs Auftritt im Pariser Prinzenpark das dem Alter entsprechende Etikett "unbekümmert" aufzukleben. Über die Phase eines unbekümmerten Fußballer-Daseins ist Kimmich hinaus. Er ist von seinen Stärken überzeugt, er leitet daraus hörbar Ansprüche ab und lässt sich bewusst an seinen Ansprüchen messen. Bei den Bayern hat der gelernte Mittelfeldspieler schon in der Innenverteidigung ausgeholfen und dabei Vorstellungen auf beachtlichem Niveau geboten. Die Rolle des offensiv auftretenden Rechtsverteidigers füllt er mit der gleichen Selbstverständlichkeit. Und Löw hat ihn im Training auch mal auf der Herkunftsposition im zentralen Mittelfeld eingesetzt, dort, wo die Strategen Dienst tun. "Es hilft einem sehr, dass man das Spiel aus verschiedenen Blickwinkeln sieht", erklärte Kimmich im Tonfall des in vielen Jahren gewachsenen Analysten.

Natürlich hat er recht mit dieser Feststellung, 21-Jährige im DFB-Dienst sagen vor und nach ihren ersten Auftritten auf der ganz großen Bühne allerdings normalerweise: "Es ist toll, bei der Nationalmannschaft zu sein. Ich freue mich. Wenn der Trainer mich braucht, bin ich da." Ansprüche, wie sie leicht aus Kimmichs Selbstdarstellung herauszulesen sind, stellen sie nicht. Und auch Kimmich hat so einen DFB-Satz im Repertoire: "Klar ist es etwas Besonderes, hier zu sein. Es ist immer das Ziel, in die A-Mannschaft zu kommen." Doch selbst an dieser Stelle ist keine falsche Bescheidenheit im Spiel.

Vielleicht lässt sie ein derart schwungvoller Karriere-Auftakt auch gar nicht zu. Schließlich hat Kimmich vor seinem EM-Debüt mit den Bayern in der Champions League gegen Europas Größen bestanden. Und er zeigte in den deutschen Spitzenspielen gegen Dortmund ebenfalls bemerkenswert abgeklärte Leistungen. Deshalb findet er den Weg in Löws Team ebenso logisch wie viele seiner Wegbegleiter.

Pep Guardiola war der wohl wichtigste. "Kimmich kann rechts spielen, in der Mitte, außen, Verteidiger", sagte der nun ehemalige Bayern-Coach, "er ist ein Super-Super-Junge." Dem Katalanen hat der deutsche Nationalspieler den entscheidenden Sprung zu verdanken. "Guardiola", erklärte Kimmich, "hat mir Räume gezeigt, die ich vorher nicht kannte." Die Ruhe am Ball musste er ihm nicht beibringen. Diese Erinnerung an Lahms Fertigkeiten liegt in Kimmichs fußballerischer DNA. Davon profitierte Löws Auswahl gegen die Nordiren. Und darauf wird der Bundestrainer im Achtelfinale ebenfalls setzen. "Er braucht Spieler wie Kimmich.

(pet)
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