Kolumne: Gegenpressing Klingel kaputt - Antidopingkampf beschädigt

Der Fall des Handball-Weltmeisters Michael Kraus zeigt deutlich das Dilemma im mühseligen Ringen um einen sauberen Sport.

Handball-Profi Michael Kraus vor Sitzung der Anti-Doping-Kommission
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Handball-Profi Michael Kraus vor Sitzung der Anti-Doping-Kommission

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Foto: dpa, chc jai

Stellen wir uns vor, Mimi Kraus wäre Radsportler. Dann wäre am Donnerstag jede Menge Spott über ihn hereingebrochen, als er von der Anti-Dopingkommission seines Verbandes freigesprochen wurde. Er hat die Klingel nicht gehört, als der Kontrolleur bei ihm vor der Haustür stand? Was für eine Ausrede! Selten so gelacht! Da Mimi sein Geld nicht als Radrennfahrer, sondern als Handballer verdient, hielt sich die Belustigung über die Klingel-Geschichte in Grenzen. Als Handballer genießt man doch ein bisschen mehr Vertrauen als als Radsportler. Und so abenteuerlich sich die Kraus-Story anhört, sie könnte ja stimmen. Allerdings wirft sie ein paar Fragen auf - vor allem macht sie auf Schwachstellen im Antidopingkampf aufmerksam.

Wenn der Kontrolleur den Klingelknopf drückt, er aber keine Reaktion aus dem Haus vernimmt und auch kein Läuten hört, warum ruft er dann nicht auf Kraus' Handy an? Der gemeine Dreißigjährige hat sein Mobiltelefon ja stets in Reichweite. Hatte der Kontrolleur die Nummer nicht? Das wäre ein organisatorischer Fehler. Oder war er nicht auf die Idee gekommen anzurufen? Das ließe an der Qualifikation des Prüfers zweifeln.

Juristisch ist es nachvollziehbar, dass die Kommission Kraus freisprach, weil ihm kein Versäumnis nachzuweisen war. Ein Geschmäckle bleibt jedoch, weil es schon der dritte Verstoß des Nationalspielers gegen die Meldepflicht war. Das zeigt zumindest, dass der Göppinger den Antidopingkampf nicht ernst nimmt. Die jeweils für ein Vierteljahr im Voraus erforderliche Meldung der Aufenthaltsorte ist zwar lästig und juristisch bedenklich. Doch zum einen ist die kurzfristige Korrektur der Meldung per App (siehe: der gemeine Dreißigjährige und sein Handy) oder per SMS kein Hexenwerk, und zum anderen ist noch keinem eine bessere Alternative zu diesem System eingefallen, das unangemeldete Kontrollen (und nur die machen Sinn) ermöglicht.

Einen Beigeschmack hat der Fall Kraus noch aus einem anderen Grund: Handballer haben über einen Handballer gerichtet. Haben die ein Interesse daran, dass ein möglicher Leistungsträger der Nationalmannschaft gesperrt wird und bei der WM im Januar nicht zur Verfügung steht?

Damit derlei Zweifel nicht aufkommen, lagern andere Verbände ihre Gerichtsbarkeit an eine neutrale Instanz aus. Ihre Fälle werden bereits erstinstanzlich vor dem Deutschen Sportschiedsgericht verhandelt. Der Deutsche Leichtathletikverband und - man höre und staune - der Bund Deutscher Radfahrer gehen hier mit leuchtendem Beispiel voran.

(RP)
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