Dortmunder Marathon-Opa 80 Jahre und kein bisschen langsam

Dortmund · Klemens Wittig aus Dortmund hat in seiner Altersklasse einen neuen Europarekord im Marathon aufgestellt. Der 80-Jährige brauchte für die gut 42 Kilometer weniger als 3:40 Stunden.

 Klemens Wittig läuft und läuft und läuft.

Klemens Wittig läuft und läuft und läuft.

Foto: Klemens Wittig

Etwas mehr als dreieinhalb Stunden sind seit dem Startschuss vergangen. Einige Läufer brechen im Zielbereich zusammen. Andere stützen sich in gebückter Haltung auf den eigenen Knien ab. Der Frankfurt-Marathon hat ihnen alles abverlangt. Nicht so Klemens Wittig. Er läuft eingewickelt in eine deutsch-europäische Flagge ins Ziel, winkt den Zuschauern zu. Der 80-Jährige strahlt.

Dabei zeigt seine Laufuhr eine bemerkenswerte Zeit von 3:39:58 an. In Worten: unter drei Stunden und vierzig Minuten. Damit hat Wittig soeben einen neuen Europarekord im Marathon in der Altersklasse 80 der Männer aufgestellt. Das allein macht den Dortmunder schon zu einem Phänomen. Dass Klemens Wittig aber mitten im Rennen stürzte, sich schwer verletzte und das Rennen trotzdem zu Ende lief, hebt seine Leistung auf die Stufe eines kleinen Sportwunders.

Wenn man von Wendepunkten im Leben eines Menschen sprechen will, dann muss man bei Klemens Wittig das Jahr 1977 betrachten. Im Alter von 40 hört er damals mit dem Rauchen auf. Er entdeckt das Laufen für sich. Aus ersten Runden um den Block werden viele Kilometer durch die Stadt. Neun Jahre vergehen, ehe der Dortmunder seinen ersten Marathon absolviert. Und aus der Freude über 42,195 zurückgelegte Kilometer erwächst großer Ehrgeiz. "Das Joggen hat mein Leben verändert", sagt der 80-Jährige.

Ausdauersport im Alter so beliebt wie nie

Mittlerweile startet er für den LC Rapid Dortmund und ist der einzige deutsche Seniorensportler, der in sämtlichen Laufdistanzen von 800 Metern bis zum Marathon startet. Wittig wirkt stolz, als er das erzählt. "Natürlich", sagt er, kann er alle Titel aufzählen: 24 Mal WM-Gold, 22 Mal EM-Gold und 41 Deutsche Meistertitel - für Wittig ist das Laufen ein Leistungssport. Das unterscheidet ihn zwar von anderen Altersgenossen. Doch ist Ausdauersport im Alter so beliebt wie nie.

Rund 197.000 Mitglieder zählt der Landessportbund Nordrhein-Westfalen allein in Leichtathletik-Vereinen. Die Gruppe der Seniorensportler ist nicht nur die zweitgrößte. Sie wächst auch stetig: Mehr als 35.000 männliche und weibliche Mitglieder über 60 Jahren sind es bereits. Diese "Best Ager" gehören zu einer Gruppe von Menschen, die auch im Alter ihre Lebensqualität durch Sport erhalten wollen und können. Sie können das zeitintensive Training ausüben und besitzen das Wissen, wie gesund Sport sein kann.

In Köln, beim größten Marathon in Nordrhein-Westfalen, erreichten im vergangenen Oktober 6071 Starter das Ziel - 268 davon in den Altersklassen 60 und älter. Beim Frankfurt-Marathon, als Wittig den neuen Europarekord aufstellte, waren rund fünf Prozent der Teilnehmer über 60.

Sturz bei Kilometer 34

Noch in der Nacht vor dem Start hatte Wittig Rückenbeschwerden. Er startete trotzdem, ließ sich von einem Kamerateam begleiten und war guten Mutes: bis Kilometer 34. Ausgerechnet an dieser Schwelle eines jeden Marathon-Rennens, an der sich entscheidet, ob man aufgeben muss oder die mentale und körperliche Härte besitzt, weiterzumachen, da stürzte der 80-Jährige. Wittig brach sich dabei das Schlüsselbein. Doch er zog das Rennen trotzdem durch, unterbot den deutschen Rekord um ganze elf Minuten. Und läuft nach wie vor jede Woche seine 50 bis 70 Kilometer. "Mehr aber nicht", sagt er. Denn Regeneration sei genauso wichtig wie das Training selbst. Aber warum tut er sich das noch an?

Für Wittig ist das keine Qual. Es ist Leidenschaft, die ihn antreibt. Und, das gibt er zu, sein großer Ehrgeiz. "Nur der Zweitbeste zu sein, reicht mir nicht", sagt er und lacht. Statt täglich "Pillchen gegen hohen Blutdruck" zu nehmen, sagt er, halte er sich mit dem Joggen fit. Und weil Wittig ausgeglichen, zufrieden mit seinem Leben wirkt, glaubt man ihm jedes Wort.

Für den Sportwissenschaftler Wolfgang Potthast ist diese Botschaft wichtiger als der Europarekord. "Herr Wittig scheint fit zu sein und zu wissen, was er tut. Dazu kann man ihm nur gratulieren", sagt Potthast. Er ist Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln, lehrt und forscht am Institut für Biomechanik und Orthopädie. Von der Empfehlung, dass Senioren nur schonenden Ausdauersport machen sollten, hält er wenig. "Wichtig ist, dass der Sport zu der Person passt. Die Grundlagen dafür werden in der Kindheit gelegt", sagt Potthast. Sehnen, Bänder und Gelenke passten sich langsam an, daher seien Intensität und Trainingsumfang entscheidend. Eine pauschale Empfehlung für Sport im Alter aber könne es nicht geben.

Wittig liebt Hausmannskost

Klemens Wittig wiegt 62 Kilogramm und hat einen Ruhepuls von 42 Schlägen pro Minute. Ein Indikator dafür, wie gut er trainiert ist. Das Geheimrezept seines Erfolgs verrät er auch: Es seien die Kochkünste seiner Frau. Denn Wittig liebt Hausmannskost. Er isst wenig Fleisch, aber täglich Suppe und Salat. Und nachmittags darf es auch ein Stückchen Kuchen zum Kaffee sein.

Wittig stellt nicht nur neue Rekorde auf. Der 80-Jährige definiert die Grenzen vom Sport im Alter völlig neu - und er will so schnell nicht damit aufhören. Der Dortmunder will alle 14 möglichen deutschen Lauf-Rekorde in der Altersklasse 80 besitzen. Zehn hält er bereits.

(ball)
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