Leichtathletik Das neue deutsche Fräuleinwunder

Düsseldorf · Das Niveau im deutschen Frauen-Sprint ist so hoch wie vielleicht noch nie. Für die anstehende DM verspricht das ein Hauen und Stechen, für die WM einen Medaillentraum.

Leichtathletik-EM: Deutsches Quartett läuft zu Bronze
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Deutsches Quartett läuft zu Bronze

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Foto: dpa, mkx fdt

Als Rebekka Haase realisiert, dass sie als Erste die Ziellinie überquert hat, hüpft sie ungläubig umher und greift sich an den Kopf. Dass das deutsche 4x100-Meter-Quartett bei der Staffel-WM Ende April auf den Bahamas Gold gewinnen würde, war nicht wirklich zu erwarten. Doch weil die US-Startläuferin in der ersten Kurve stürzt und Jamaika nicht in Bestbesetzung antritt, reicht es für Haase, Alexandra Burghardt, Tatjana Pinto und Lisa Mayer zum Sieg. Es reicht aber auch, weil das Niveau im deutschen Frauen-Sprint in dieser Saison so hoch ist wie vielleicht noch nie.

"Die Leistungen im bisherigen Saisonverlauf haben uns viel Freude gemacht", sagt Idriss Gonschinska unserer Redaktion. Der 48-Jährige war erst Cheftrainer im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und ist seit Herbst vergangenen Jahres leitender Sportdirektor. Gonschinska steht also in der Verantwortung, wenn es darum geht, wie es um die Leistungen der Leichtathleten hierzulande steht. Da tut es gut, positive Nachrichten von schnellen Frauen auf der Bahn vorweisen zu können. "Es ist immer schön, wenn wir positive Entwicklungen verzeichnen und junge Athleten in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit treten. Dies gilt natürlich auch für die Sprinterinnen, denn gerade im Sprint gab es vor Jahren noch Kritik", sagt Gonschinska. Kritik an fehlenden Talenten und daran, dass die Top-Leute beim Saisonhöhepunkt regelmäßig enttäuschten.

Das ist in diesem Jahr anders. In Nassau gibt es neben Gold für die 4x100-Meter-Staffel noch Silber über 4x200 Meter. Und neulich gewannen die deutschen Frauen auch bei der Team-EM in Lille über die geteilte Stadionrunde. "Das sind schon besondere Momente für die deutsche Leichtathletik", erklärt Gonschinska. Momente, wie er sie sich auch für die Deutsche Meisterschaft am Wochenende in Erfurt erhofft. Dort wird es ein Hauen und Stechen um den Titel geben und um die Nominierungen für die WM vom 5. bis 13. August in London.

Schnellste Deutsche über die 100 Meter ist aktuell eine, die auf den Bahamas erkältet fehlte: Die Dortmunderin Gina Lückenkemper (20) liegt mit 11,04 Sekunden hinter der Niederländerin Dafne Schippers auf Rang zwei der europäischen Bestenliste. Haase (24) rangiert mit 11,06 Sekunden dahinter. Beide haben die WM-Norm von 11,23 Sekunden unterboten. Die fehlt Sina Mayer (22), Lisa Mayer (21), Lara Matheis (24) und Jennifer Montag (19) noch, aber sie alle liegen nur ein paar Hundertstel darüber.

Über 200 Meter liegt die Norm für London bei 22,85 Sekunden. Lisa Mayer (22,64) und Haase (22,76) knackten sie bereits. Lückenkemper, der EM-Bronzemedaillengewinnerin von 2016 über diese Strecke, fehlt sie noch. "Ich bin aber fest davon überzeugt, dass ich sie in Erfurt unterbieten werde", sagt sie. Ob es zur Titelverteidigung reicht, wird sich zeigen. "Im Frauensprint ist es momentan im Spitzenbereich recht kuschelig", betont Lückenkemper.

Gonschinska ist diese Breite an der Spitze natürlich recht, grassierte doch nach dem Karriereende von Verena Sailer im September 2015 die Befürchtung, jetzt laufe man erstmal hinterher. Aber zum einen rückten Talente nach (Lückenkemper, Lisa Mayer), zum anderen machten Athleten wie Haase, Mattheis oder Pinto noch einmal einen Schritt nach vorne. "Aktuell entwickelt sich auch der Nachwuchsbereich im Sprint sehr vielversprechend", sagt Gonschinska.

Nur eines will der DLV-Sportdirektor nicht: aus dem Gold von Nassau eine Medaillenerwartung für London ableiten. "Sofern alle Top-Sprinterinnen fit antreten können, ist eine Überraschung möglich. Ergebnisse wie in Nassau sind jedoch sicherlich kein realistischer Maßstab. In Nassau hat einfach fast alles perfekt funktioniert", sagt er. Doch der Traum von Edelmetall bei der WM lebt bei den deutschen Sprinterinnen. Eben, weil es so kuschelig geworden ist an der Spitze.

(klü)
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