Christoph Harting im Interview "Ich muss einfach eine Macke haben"

Berlin · Der Mann polarisiert wie die zwei Seiten seines Diskus. Christoph Harting ist ein kluger Kopf, mit seinen Aussagen eckt der Psychologie-Student aber oft an. Dabei hat der Mann viel zu sagen. Nur eine Frage nervt den 2,07 Meter großen Olympiasieger inzwischen.

Olympia 2016: Christoph Harting tanzt bei der Siegerehrung
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Christoph Harting tanzt bei der Siegerehrung

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Training, Studium, Familie - und bald Weihnachten. Nach dem Dauerstress im Olympia-Jahr kann sich auch Christoph Harting mal entspannen. Im dpa-Interview spricht der Olympiasieger über den Rummel in Rio, Ritalin, Papier und Füller, viel Fanpost, seinen Gold-Diskus, die Vision 80 Meter - und sogar über seinen Bruder Robert.

Die erste Frage geht an den Psychologie-Studenten: Wie würden Sie ein Interview mit Christoph Harting beginnen?

Harting Ich würd' ihn fragen: Gibt es irgendetwas, was Sie loswerden wollen? Was liegt Ihnen besonders am Herzen, was Sie den Menschen mitteilen wollen?

Und was wäre das?

Harting Weihnachten steht ja vor der Tür. Entgegen dem ganzen Trend zur Kommerzialisierung bin ich immer noch Fan von dem Fest der Familie, der Besinnlichkeit. Und es geht also viel mehr um das Miteinander als um das Was-schenke-ich.

Welche Frage können Sie überhaupt nicht mehr hören?

Harting Wie groß sind Sie? Die Körpergröße ist eine sehr häufig gestellte Frage.

Sind Sie ein schwieriger Zeitgenosse?

Harting Das nicht. Speziell trifft es eher. Ich hinterfrage vieles kritisch, und bevor ich mir eine Meinung bilde, denke ich natürlich ausführlich und viel nach.

Die Siegerehrung in Rio - hängt Ihnen das Thema nach vier Monaten nicht schon zum Hals raus?

Harting Nein. Alles gut. Es gab Zeitungen, die haben geschrieben: Das war hyperaktives Rumgehampel! Wenn das hyperaktiv war, (lacht) - dann bin ich für den freien Verkauf von Ritalin! Aber das ist eben die Sensations-Landschaft Deutschland. Der Superlativ, also Olympiasieger zu sein, reicht nicht mehr aus. Man muss es mit einer Sensation verkaufen, damit es die Leute lesen wollen. Im Prinzip habe ich gesagt: Ich möchte meine Ruhe - und habe genau das Gegenteil erreicht. Ich verstehe auch die ganzen kritischen Gedanken. Nach wie vor setze ich mich mit dem Thema auseinander.

Christoph Harting lässt Rio-Skulptur bei Siegerehrung fallen
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Harting lässt Rio-Skulptur bei Siegerehrung fallen

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Foto: dpa, nic

Es gab viel Wirbel nach Rio, man hatte das Gefühl: Den Jungen haben nun alle auf dem Kieker. Was stand denn so in der Fanpost?

Harting Es gab ausschließlich positive Reaktionen. Der Tenor war: Mach weiter so, bleib, wie du bist! Das Längste war ein Brief über vier Seiten. Natürlich habe ich geantwortet. Aber in der Regel kommen Autogrammwünsche.

Die 80 Meter werden Ihnen bis zum letzten Tag anhängen, so oder so. Hätte nicht die Ansage "Weltrekord" oder "70 Meter" gereicht, um Ehrgeiz und Motivation zu beweisen?

Harting Vielen scheinen diese 80 Meter unmöglich. Ich weiß. Und sogar Biomechaniker haben gerechnet und gesagt: Bei 78 Metern ist das Ende der Fahnenstange erreicht... Aber man braucht einfach Visionen. Man muss von Größerem träumen, von Höherem denken! Man darf es! Ich schaffe es, weil ich daran glaube. Es gibt da ein schönes Zitat von einem unbekannten Autoren: "An etwas zu glauben, macht es möglich - aber nicht einfach."

Hand aufs Herz: Glauben Sie selber dran, irgendwann mal diese "80" auf der Anzeigetafel zu sehen?

Harting Ja.

Diskuswerfen ist eine Sommersportart, der Werfer wird aber im Winter gemacht. Nach einem halben Jahr ohne Wettkampf muss das ISTAF Indoor am 10. Februar ja wie eine Befreiung werden?

Harting Ich lebe nicht vom Wettkampf, ich lebe im Wettkampf. Das ganze Training, das Weiterentwickeln und nach Perfektion streben - das ist der eigentliche Antrieb, Sport zu machen. Und Wettkämpfe sind dann immer nur Ist-Zustände.

Was ist eigentlich mit dem Original-Diskus vom sechsten Versuch in Rio geworden? Ihr schönstes Souvenir?

Harting Bei Dreharbeiten für Sat.1 ("21 Schlagzeilen") ist er zerbrochen, beim unmittelbar ersten Wurf. Er schlug auf und ist in drei Teile zerbrochen! Patz! Die Schraube und das Gewinde sind gerissen. Aber ein Diskus ist ein Gebrauchsgegenstand - wie ein Auto. Für die Kollegen war das Journalistenglück. Beim nächsten Wurf nach meinem Goldwurf von Rio ist genau dieser Diskus kaputtgegangen! Wenn mir das damals im sechsten Versuch passiert wäre, hätte ich den Wurf wiederholen müssen.

Was liegt bei Hartings Weihnachten unterm Baum? Wo und wie feiern Sie?

Harting Jeder will seinem Kind natürlich ein schönes Geschenk machen. Ein Weihnachtsbaum darf auch nicht fehlen. Aber das Wichtigste ist die Besinnlichkeit, das Zusammensein. Sich füreinander Zeit nehmen.

Von der Familie Harting weiß man sehr wenig... Soll das so bleiben?

Harting Privates bleibt privat. "Meine" Familie bleibt Verschluss-Sache.

Und Bruder Robert? Ist das so eine Art Hassliebe? Beschreiben Sie bitte mal Ihr Verhältnis.

Harting (überlegt lange) Normal. Wir sehen uns jeden Tag beim Training. Das Verhältnis wird natürlich medial gepusht. Verstehen sich die beiden nicht? Weil keiner über den anderen reden will. Das ist eine Form des Respekts.

Sind Sie ein launischer Mensch?

Harting Nein, ich habe jedoch eine zynische Art an mir. Das ist meine Form von Humor.

Wie bekommt man Studium, Familie, Training, Wettkampf, Reisen unter einen Hut? Speziell in der Hoch-Zeit zwischen Mai und September?

Harting Man funktioniert einfach. Die Planung der kommenden Tage wird vorher durchstrukturiert, mit einem Papierkalender und einem Füller.

Sie haben eine Macke. Haben Sie selber gesagt... Und lebt sich's damit ganz ungeniert?

Harting Ich bin Leistungssportler, ich muss einfach eine Macke haben. Jeden Tag davon besessen zu sein, seine Grenzen zu durchbrechen.

Sportlerumfragen haben gerade im Olympia-Jahr immer einen besonderen Stellenwert. Sie stehen auf der Liste...

Harting Ich wurde nach Baden-Baden eingeladen, aber ich habe dankend und freundlich abgesagt. Leider war bzw. ist es mir aus organisatorischen Gründen nicht möglich, an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Ich gönne Fabian Hambüchen den Sieg bei der Wahl. Das ist die olympische Geschichte: Bronze, Silber und jetzt der Abschluss mit Gold. Gänsehaut.

Wen würden Sie also wählen?

Harting Fabian Hambüchen, Angelique Kerber und die Fußball-Frauen, die Goldladies.

Aber macht Sport in den besten Jahres seines Lebens Spaß, wenn man ein Egomane ist?

Harting Die Definition der Egomanie trifft nicht zu. Im Beruf des Leistungssportlers genießt der Faktor Spaß nicht die höchste Priorität, sondern vielmehr Disziplin und Durchhaltevermögen. Fakt ist aber, dass wir uns über eine Einzelsportart unterhalten, bei welcher man sich jeden Tag ausschließlich mit sich selbst und seiner Leistung auseinandersetzen muss. Man bildet ein Team mit seinem Trainer - und unter uns: Dieser hat mindestens 50 Prozent Anteil an der olympischen Goldmedaille.

(dpa)
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