Leichtathletik-Skandal Die Uhr tickt: Coe entscheidet über Russlands Zukunft

Der Doping-Skandal hält den Weltverband IAAF weiter in Atem. Schon am Freitag könnte Russland verbannt werden.

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Die Uhr tickt. Am Freitagabend, 19 Uhr, greift Sebastian Coe zum Telefonhörer. Krisensitzung. Der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF bespricht mit seinen 26 Kollegen im Council nur eine einzige Frage: Sollen die russischen Leichtathleten angesichts des Doping-Skandals für die Olympischen Spiele 2016 gesperrt werden?

"Wenn ein Verband nachweislich Teil des Betrugssystems ist und gegen alle bestehenden Verträge verstößt, darf das kein Tabu sein", sagte Helmut Digel, von 2007 bis Ende August 2015 selber Council-Mitglied, dem SID. Nach den Enthüllungen einer unabhängigen Untersuchungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA über systematisches Doping in Russland wird zumindest eine provisorische Suspendierung erwartet. Dafür reicht eine einfache Mehrheit in dem höchsten IAAF-Gremium.

Russischer Dopingskandal: Pressestimmen
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Coe, der sich seit seiner Wahl auf den Leichtathletik-Thron gern als Reformer und Aufräumer präsentiert, steht unter enormem Druck. Die gesamte Sport-Welt schaut auf den Briten. "Wir sind davon überzeugt, dass der neue IAAF-Präsident Sebastian Coe alles tun wird, was nötig ist, und das dann auch Russland kooperieren wird", sagte IOC-Präsident Thomas Bach bei Sky Sport News HD.

Auch Coe selber ist sich der Tragweite der Entscheidung bewusst. "Ich werde nicht scheitern", sagte der Doppel-Olympiasieger über 1500 m vor dem Showdown: "Aber das ist ein langer Weg, da sollten wir uns nichts vormachen." Der Lord will eine komplette Kehrtwende, einen Philosophie-Wechsel in der Leichtathletik durchsetzen. "Wir haben da draußen viele Trainer, die wirklich glauben, dass es nicht möglich ist, einen Athleten sauber aufs Podium zu führen", sagte Coe: "Und ich muss akzeptieren, dass das in Teilen meines Sports zu lange die vorherrschende Kultur gewesen ist."

In Russland setzen die Verantwortlichen derweil weiter auf Konfrontation. Während der Kreml bereits alle Anschuldigungen als "gegenstandslos" bezeichnete, strickte Sportminister Witali Mutko weiter an seiner Verschwörungstheorie. Der WADA-Bericht sei nicht mehr als eine Kampagne, um das Image Russlands in der Welt zu "beschädigen". Zudem sei die Motivation hinter alledem klar, schließlich würden "einige vom Entfernen eines direkten Konkurrenten profitieren", sagte Mutko vor einem geplanten, aber kurzfristig abgesagten Treffen mit Staatschef Wladimir Putin.

Doping-Skandal: Diesen Sportlern drohen Sperren
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Putin konnte wegen des schlechten Wetters in Sotschi nicht ans Schwarze Meer zu dem Meeting reisen, will sich aber über die Ergebnisse der Gespräche informieren lassen, wie ein Kreml-Sprecher mitteilte. Im Kaukasus-Städtchen Mineralnyje Wody besprachen am Mittwoch Mutko, Leichtathletik-Cheftrainer Juri Borsakowski und Alexander Schukow, Präsident des russischen Olympischen Komitees, ohne ihren mächtigen Präsidenten das weitere Vorgehen. Es wird erwartet, dass Putin im Hintergrund die Fäden zieht. Ein Ausschluss der russischen Leichtathleten von Olympia 2016 wäre auch für ihn eine beispiellose Blamage. Als erstes Zugeständnis an die WADA erwägt Russland offenbar, einen ausländischen Experten an die Spitze des derzeit gesperrten Kontrolllabors in Moskau zu berufen.

Unter den russischen Athleten geht wegen der nahenden Entscheidung schon die Angst um. "Nur die Verantwortlichen sollten bestraft werden", sagte Anna Tschitscherowa. Die Hochsprung-Olympiasiegerin von London beklagte, dass nur Russland zum Sündenbock gemacht werde: "Doping ist nicht nur in unserem Land ein Problem. Die russischen Athleten zu suspendieren, wird nicht das globale Problem lösen."

(sid)
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