700.000 Euro für vertuschte Doping-Probe? Leichtathletik-Skandal offenbar größer als angenommen

Berlin · Schutzgeld und jede Menge dubiose Deals: Der Dopingskandal in der internationalen Leichtathletik zieht weitere Kreise. Besonders im Fokus stehen einmal mehr Athleten aus Russland.

 Schlüsselfigur des Skandals ist der ehemalige IAAF-Präsident Lamine Diack.

Schlüsselfigur des Skandals ist der ehemalige IAAF-Präsident Lamine Diack.

Foto: dpa

Schutzgeld von bis zu 700.000 Euro, vertuschte Doping-Befunde und weitere dubiose Machenschaften: Der Betrugs- und Korruptionsskandal im Leichtathletik-Weltverband IAAF hat offenbar weit größere Ausmaße als bisher angenommen. Nach Informationen der ARD-Dopingredaktion und der französischen Tageszeitung Le Monde sollen mindestens sechs Athleten von der Doping-Vertuschung des Clans um den ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack profitiert haben. Dies gehe aus Unterlagen der Pariser Staatsanwaltschaft hervor, die derzeit gegen Diack und weitere Verdächtige ermittelt.

Die neuen Erkenntnisse machen Clemens Prokop "fassungslos", die Machenschaften seien "schlichtweg kriminell", sagte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) der ARD. Die Ethikkommission der IAAF habe "glatt versagt" und die Folgen für die Glaubwürdigkeit des Weltverbandes seien katastrophal. Der Jurist sprach von einem "unglaublichen Schaden für den Sport".

Konkret genannt werden von ARD und Le Monde die Marathonläuferin Lilija Schobuchowa, die Geher Waleri Borchin, Olga Kaniskina, Sergej Kirdjapkin, Wladimir Kanaikin sowie Hindernisläuferin Julija Saripowa (alle Russland). Borchin, Kaniskina, Kirdjapkin und Saripowa sind ihre Olympiasiege von Peking und London inzwischen aberkannt worden.

Die sechs Athleten seien zudem Teil einer Liste von insgesamt 23 Sportlern, die nach ARD-Informationen in Dokumenten im Zusammenhang mit Doping-Vertuschung auftauchen. Gezahlt worden seien Summen zwischen 300.000 und 700.000 Euro. Auch die derzeit wegen Dopings gesperrte Türkin Asli Cakir Alptekin, die ihre Goldmedaille über 1500 m von London inzwischen ebenfalls zurückgeben musste, hatte im vergangenen Juli zugegeben, vom Diack-Clan erpresst worden zu sein. Sie hatte eine geforderte Zahlung von 650.000 Euro allerdings verweigert und wurde gesperrt.

Offenbar hat auch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) nur zögerlich gehandelt, um gegen die mafiösen Strukturen vorzugehen. Die WADA soll die IAAF-Ethikkommission im Herbst 2014 über auffällige Blutwerte und den Verdacht der Schutzgeldzahlungen informiert haben. Im weiteren Verlauf seien die Dopingjäger diesen Hinweisen aber nicht nachgegangen. "Man kann nur von einem Komplettversagen der WADA sprechen", sagte Prokop: "Wenn sich regelwidriges Handeln beweisen lässt, ist die einzige Konsequenz, dass die handelnden Personen ihre Ämter aufgeben."

Derzeit ermitteln die französischen Behörden gegen Diack sowie unter anderem seinen Sohn Papa Massata und Diacks ehemaligen Anwalt Habib Cisse. Angeblich sollen die Beschuldigten unter anderem durch die Vertuschung positiver Dopingtests Millionen Euro kassiert haben. Die Pariser Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass allein Walentin Balachnitschew, ehemaliger russischer Verbandspräsident und IAAF-Schatzmeister, 1,5 Millionen Euro an Diack überwiesen hat.

Der neue IAAF-Präsident und Diack-Nachfolger Sebastian Coe will der tief verankerten Korruption mit einem Reformpaket begegnen. Bei einem außerordentlichen Kongress, den Prokop nach Bekanntwerden des Skandals gefordert hatte, soll am 3. Dezember in Monaco ein 15-Punkte-Programm verabschiedet werden. Das Arbeitspapier "A new Era" sieht unter anderem vor, die Macht des Präsidenten zu beschneiden, für mehr Demokratie und Transparenz vor allem im wirtschaftlichen Bereich zu sorgen und den Anti-Doping-Kampf zu forcieren. Zudem ist geplant, dass die Finanzen nicht mehr alleine Aufgabe des Schatzmeisters sind, sondern von einem Haushaltsausschuss "professioneller" verwaltet werden.

(sid)
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