Hallen-EM Ex-Flüchtling Tesfaye will nicht nur auf dem Treppchen stehen

Der gebürtige Äthiopier Homiyu Tesfaye hat der Hallen-Saison bisher seinen Stempel aufgedrückt - weltweit. Nach zwei deutschen Rekorden soll es bei der EM in Prag Gold werden.

 Homiyu Tesfaye zeigt sich während der Hallen-Saison bislang in Top-Form.

Homiyu Tesfaye zeigt sich während der Hallen-Saison bislang in Top-Form.

Foto: dpa, ua jai

Aus dem ehemaligen äthiopischen Flüchtling soll am Sonntag ein deutscher Goldmedaillengewinner werden: Tesfaye geht über die 1500 Meter als großer Favorit in die Hallen-EM in Prag - der Titel in der tschechischen Hauptstadt wäre der vorläufige Höhepunkt einer ungewöhnlichen Lebensgeschichte.

Wenige Jahre nach seiner Flucht aus Äthiopien ist Tesfaye der dominierende Läufer der bisherigen Hallensaison. Gleich zweimal verbesserte er Mitte Februar innerhalb einer Woche den deutschen Hallenrekord über 1500 Meter. Seine 3:34,13 Minuten sind Weltjahresbestleistung.

"Es war eine unbeschreibliche Woche, zweimal deutscher Rekord, dazu Nummer eins in der Welt: Das ist mein erfolgreichstes Jahr", sagte Tesfaye. Selbstbewusst formuliert er deshalb auch sein Ziel für Prag: "Goldmedaille ist das Ziel - und nicht nur einfach auf dem Treppchen zu stehen."

Keine Medaille seit 1990

Tesfaye könnte mit Gold in Prag Geschichte schreiben. Nicht nur persönliche, sondern eine gesamtdeutsche. Seit der Wiedervereinigung gab es über 1500 Meter kein einzige deutsche Medaille bei einer Hallen-EM über die Strecke, letztmals siegte 1990 Jens-Peter Herold für die damalige DDR. Ein ehemaliger Flüchtling, der 25 Jahre nach der Wiedervereinigung als große deutsche Medaillenhoffnung ins Rennen geht. Viel anschaulicher lassen sich die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen fast nicht beschreiben.

Dabei sah es vor wenigen Jahren noch ganz anders um die "Vorbildwirkung" des 21-Jährigen aus. Immer wieder wurden Gerüchte laut, Tesfaye sei nicht der, für den er sich ausgebe und in Wahrheit ein älterer Läufer. Beweise für die Behauptungen lieferte allerdings niemand.

Von Neid, Rache und einer Schmutzkampagne sprachen seine Fürsprecher. Bei der deutschen U23-Meisterschaften 2013 machte er als Sieger nach dem Lauf Liegestütze bis alle anderen Athleten im Ziel waren. Ein Affront sagen die einen, andere verstanden dies als Reaktion auf die Vorwürfe. "Die Vorkommnisse wurden aktiv und kritisch aufgearbeitet, so etwas macht er nicht mehr", sagte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska

Eine Taufbescheinigung aus seiner äthiopischen Heimatgemeinde diente letztendlich als offizielles Dokument. Nach einem beschleunigten Verfahren wurde Tesfaye 2013 Deutscher. "Homiyu ist ein hochbegabter Athlet, der in Frankfurt sehr gut integriert ist und aktiv zum Gelingen dieses Prozesses beiträgt. Zum Beispiel arbeitet er vergleichbar seinem Lauftraining intensiv daran, die deutsche Sprache immer besser zu lernen", sagte Gonschinska: "Dies zeigt die Möglichkeit der Integration durch Sport auf."

Jetzt geht es in Prag um seinen ersten großen Titel. Bei der Freiluft-EM in Zürich 2014 kam er in einem von Taktik geprägten Rennen im Finale "nur" auf Platz fünf. "Es wird eine konsequente taktische Maßgabe geben", sagte Gonschinska: "Er muss jetzt nachweisen, dass er sich auch international im Medaillenbereich behaupten kann."

(sid)
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