Gina Lückenkemper Schnell, erfrischend, authentisch — und energiegeladen

London · Was für ein Wochenende für Gina Lückenkemper: Bei der Leichtathletik-WM in London rennt sie im Vorlauf in die Weltspitze und erklärt abends im ZDF stolz ihr Erfolgsgeheimnis: Sie leckt vor Rennen an einer Batterie. Im Halbfinale läuft es für sie allerdings nicht nach Plan.

Leichtathletik-WM: Gina Lückenkemper bleibt unter elf Sekunden
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Lückenkemper knackt magische Elf-Sekunden-Marke

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Foto: dpa, bt

Gina Lückenkemper brauchte nicht lange, um die Leichtathletik-Welt in ungläubiges Staunen zu versetzen. Genau genommen reichten der 20-Jährigen 10,95 Sekunden. Im Vorlauf über 100 Meter der WM in London. So schnell wie sie war keine ihrer 47 Konkurrentinnen an diesem Tag. Und so schnell war auch keine Deutsche mehr seit 26 Jahren — seit Katrin Krabbe und ihren 10,91 Sekunden bei der WM in Tokio 1991.

Im Halbfinale am Tag darauf konnte sie ihre Bestzeit nicht bestätigen und verpasste mit 11,16 Sekunden den Einzug ins Finale. Ihre gute Laune ließ sie sich dadurch aber nicht nehmen. "Ich habe alles erreicht, was ich mir für London vorgenommen habe. Und ich habe ja zum Glück noch ein paar Jahre in der Leichtathletik", betonte sie.

"Ich wusste, dass diese Zeit in mir steckt. Es ist unbeschreiblich, dass es Wirklichkeit geworden ist", sagte Lückenkemper, die in London endgültig ein prägendes Gesicht der deutschen Leichtathletik geworden ist. Mit erfrischend schnellen Beinen. Und erfrischend schnellem Mundwerk. "Deutscher Sprint ist geil, und deutscher Sprint kann was", jubelte die Sprinterin der LG Olympia Dortmund (das Finale war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet). Was dieser deutsche Sprint alles kann, das zu zeigen, fällt vor allem Lückenkemper zu, und es wird ihr, das ist die Bürde, die sie von den Titelkämpfen mit nach Hause nehmen wird, auch in Zukunft zufallen. Es ist eine Rolle, die zu ihr passt. Denn die Studentin der Wirtschaftspsychologie ist eine Rampensau im positiven Sinne. Eine, die ohne inszenierte Gesten auskommt.

Wenn Lückenkemper von "mega" und "geil" und "voll Bock" spricht, dann klingt das nicht nach Straßenrand, sondern authentisch. Nach Heimat. Nach Ruhrgebiet. Ein Strahlegesicht mit klarer Kante, immer den Schalk im Nacken und mit einem Blick, der den des Gegenübers sucht - so sehen Vorzeigeathleten einer Sportart aus, wenn die Sportart in die Backstube für Vorzeigeathleten gehen dürfte.

Lückenkemper leckt an Batterien

Eigentlich ist sie auf den 200 Metern noch stärker, weil sie gegen Ende erst richtig in Fahrt kommt. Über die halbe Stadionrunde holte Lückenkemper im vergangenen Jahr auch EM-Bronze in Amsterdam. Doch dann kamen die Deutschen Meisterschaften in Erfurt Anfang Juli, ihr Titel über 100 Meter und eine Zeit von 11,01 Sekunden. Das alles, nachdem sie sich zuvor mal eine Woche aus dem Training rausnehmen musste, weil ihr nach eigener Aussage "eine Kernschmelze im Gehirn" drohte. Die hatte sie abwenden können. Ein Geheimnis, warum sie so energiegeladen rennt, verriet sie im ZDF-Sportstudio: Vor Wettkämpfen leckt sie immer mal mit der Zunge an einer Neun-Volt-Batterie, um sich zu stimulieren.

"Ich arbeite mit einem Neuro-Athletiktrainer zusammen. Wir sprechen damit das Nervensystem im Körper an und aktivieren das Ganze mal ein bisschen. Die Zunge ist im Gehirn wahnsinnig groß verankert und darüber können wir ganz viel aktivieren", erklärte Lückenkemper im "ZDF".

Es sind dann auch junge Athleten wie Lückenkemper, die Clemens Prokop, den scheidenden Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) nicht bange werden lassen um die Zukunft. "Wir haben eine ganze Reihe von Athleten, die an der Schwelle zur Weltspitze stehen. Im Normalfall werden sie den Leistungshöhepunkt bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio haben. Sie haben aber die Chance, schon in London mitzumischen", sagte Prokop im Vorfeld der WM. Das mit dem Mitmischen hatte Lückenkemper in London sehr wörtlich genommen.

(RP)
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