Sprinter Reus mit besten Chancen Jagd auf die Zehn-Sekunden-Marke

Düsseldorf · Die deutschen Sprinter sind so gut wie lange nicht mehr. Allen voran der Wattenscheider Julian Reus. Er könnte als erster Deutscher über 100 Meter die Marke durchbrechen. Die Hallensaison verspricht einiges für den Sommer.

 Julian Reus hat die besten Chancen, unter 10,0 Sekunden zu laufen.

Julian Reus hat die besten Chancen, unter 10,0 Sekunden zu laufen.

Foto: imago

Es gibt diese schöne Geschichte um den Sportjournalisten Gustav Schwenk. Der Düsseldorfer — vor gut einem Jahr im Alter von 91 verstorben — war 1960 der einzige deutsche Reporter beim Leichtathletik-Sportfest im Zürcher Letzigrund. Armin Hary lief die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden. Weltrekord! Auf Asche! Doch das Kampfgericht erkannte auf Fehlstart und verweigerte der Bestmarke die Anerkennung.

Tatsächlich war der Saarländer aus Quierschied wohl zu früh losgelaufen, der Starter schoss aber nicht, wie in diesem Fall vorgesehen, ein zweites Mal. Schwenk, ein großer Kenner der Paragrafen, setzte sich mit all seiner Wortgewalt dafür ein, dass Hary das Recht auf einen zweiten Versuch erhielt. Und der lief wieder 10,0.

Bis heute beißt sich die deutsche Leichtathletik an dieser verflixten Marke die Zähne aus. Doch noch nie standen die Chancen so gut, dass es einem deutschen Sprinter gelingen könnte, schneller zu laufen als Hary vor weit mehr als einem halben Jahrhundert.

Ein Kandidat: Julian Reus (27) vom TV Wattenscheid. 2014 verbesserte er den damals 29 Jahre alten Deutschen Rekord des Magdeburgers Frank Emmelmann um eine Hundertstel auf 10,05 (die Hary-Zeit steht nicht mehr in den Rekordlisten, weil sie mit der Stoppuhr genommen und nicht nach heutigen Standards gemessen worden war). Ein Lauf unter 10,0 gelang in Person von Martin Keller bereits einem Deutschen, doch der Rückenwind blies zu heftig. Unter ebenfalls irregulären Bedingungen liefen Reus und Lucas Jakubczyk 10,01.

"Es muss alles stimmen"

"Saubere Läufe unter 10,0 sind möglich", betont Reus. "Doch so einen Tag unter 10 Sekunden kannst du nicht planen, da muss alles stimmen, Wetter, Wind, Bahnbelag und man muss bereit sein." Er weiß, dass seine Disziplin wegen der Fülle an Dopingfällen besonders argwöhnisch verfolgt wird. Doch bei Reus gibt es keine merkwürdigen Leistungssprünge. Seine Entwicklung ist maßvoll. Das spricht für ihn. "Julian hat geduldig an den Winzigkeiten gearbeitet, die man auf dem Niveau noch verbessern kann", sagt Bundestrainer Ronald Stein. Die Unterstützung von Biomechanikern, die seinen Laufstil optimieren, setzt Reus um.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband will sich nicht damit abfinden, dass er im Sprint der Musik hinterherläuft. Seit 2011 fördert er diese talentierte Generation in einem Staffelprojekt nach Kräften. So schickt er seine Schnellsten zum Beispiel für sechs Wochen zum Trainingslager nach Florida. Aus vermeintlichen Egomanen werden dort Teamplayer. Die Läufer wohnen in einem Haus, versorgen sich selbst, kochen füreinander und schauen YouTube-Videos der schnellsten Läufe rauf und runter. "Da braucht man keine besonderen Teambuilding-Maßnahmen", sagt Reus. Die Athleten tauschen sich aus, unterstützen einander, geben Tipps.

Ende Januar hat Reus in Erfurt den 28 Jahre alten 60-Meter-Rekord (6,53 Sekunden) eingestellt. Mit dieser Zeit steht er auf Platz zwei der zu diesem frühen Zeitpunkt freilich nur bedingt aussagefähigen Weltbestenliste. Aber immerhin. Und beim Meeting in Düsseldorf legte er zuletzt gleich 6,59 nach. "Sehr, sehr ordentlich", fand er das. Das Istaf am Samstag in Berlin steht als nächste Station auf seinem Terminplan. "Die Stabilität für den Sommer" will er nun schaffen. Dann geht die Reise von den Deutschen Meisterschaften in Ulm, über die EM in Amsterdam zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro - falls der sensible Körper mitmacht.

Ein paar Wochen nach seinem Rekordlauf in Zürich lief Hary übrigens in Rom zu olympischem Gold. So etwas von einem deutschen Sprinter zu verlangen, wäre heute Unsinn. Und angesichts der des Dopings zumindest hochverdächtigen Sprint-Weltelite auch gar nicht wünschenswert. Aber vielleicht springt in der Staffel etwas heraus. Reus: "Wir wollen um die Medaillen kämpfen.

Das kann man schon so sagen."

(bei)
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