Leichtathletik-EM Erdogan kauft sich Medaillengewinne

Amsterdam/Düsseldorf · Der türkische Leichtathletik-Verband erzielt bei der EM in Amsterdam das beste Ergebnis seit seinem Bestehen. Doch nur vier der erfolgreichen Athleten kommen vom Bosporus. Der Rest ist eine bezahlte Weltauswahl. Es hagelt Kritik.

 Yasemin Can stammt aus Kenia, gewann aber zwei EM-Goldmedaillen für die Türkei.

Yasemin Can stammt aus Kenia, gewann aber zwei EM-Goldmedaillen für die Türkei.

Foto: ap, FO

Vier Mal Gold, fünf Mal Silber, drei Mal Bronze. Die Ausbeute des türkischen Leichtathletikverbandes bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Amsterdam lässt aufhorchen. "Ich sehe eine neue Ära", sagt Fatih Cintimar, Präsident des von zahlreichen Dopingfällen erschütterten türkischen Verbands.

In zwölf Disziplinen sammelten die Leichtathleten vom Bosporus in der Tat so viel Edelmetall wie der Verband in seiner 80 Jahre alten Geschichte zuvor und setzte sich im Medaillenspiegel auf den vierten Rang. Aber es hagelt Kritik am türkischen Sportverband. Denn der Erfolg ist staatlich gelenkt. Von den 48 Sportlern sind 16 eingebürgerte Top-Athleten aus der ganzen Welt. Sie kommen aus Kenia (7), Äthiopien (3), Jamaika (2), Kuba, Südafrika, der Ukraine und Aserbaidschan (jeweils 1). Und sie waren es, die den Großteil der Preise abräumten.

"Wir sehen das sehr kritisch", sagte Präsident Clemens Prokop vom Deutschen Leichtathletik-Verband. Er kündigt an, beim außerordentlichen Kongress des Weltverbands IAAF im Dezember einen Antrag zu stellen, dass der Missbrauch des Staatentauschs bekämpft werde. "Denn wenn ein Wechsel zum Wirtschaftsgut wird, leidet die Leichtathletik", sagt Prokop.

Das Prinzip ist nicht neu. Bei der Handball-Weltmeisterschaft 2015 erkaufte sich Katar Top-Spieler. Und auch in der Leichtathletik spielen Katar und Nachbarstaat Bahrain beim Wettrüsten eine große Rolle. Lösen kann das aber nur der Leichtathletik-Weltverband IAAF. Eigentlich sollten Athleten bei einem Nationenwechsel über drei Jahre lang für internationale Wettbewerbe gesperrt werden. Doch im Regelwerk heißt es, wenn die beiden beteiligten Verbände sich einig seien, muss der Sportler nur noch zwölf Monate pausieren. Und dann fließt offenbar Geld. Geld, das der türkische Staat dem Sport allem Anschein nach zur Verfügung stellt.

Ein Beispiel für das neuartige Legionärs-Dasein ist der 3000 Meter-Hindernis-Läufer Aras Kaya. Der gebürtige Kenianer, der einst auf den Namen Amos Kibitok hörte, lief ein Jahr vor der Leichtathletik-EM in Amsterdam noch für den russischen Verband. Im Jahr 2014 nahm er zusammen mit drei weiteren Kenianern inoffiziell an den russischen Meisterschaften teil, die Einbürgerung war in vollem Gange. Erst mit dem Hochkochen der Dopingaffäre in Russland war sein Intermezzo beendet, und die Türkei witterte die Chance, mit dem schnellen Langstreckenläufer das Team zu verstärken.

Mit Erfolg. Kaya erhielt die Startgenehmigung zwar erst vier Tage vor dem Finale, heute aber ist der Wahltürke Europameister über 3000-Meter-Hindernis. Im Eilverfahren ist auch die ehemalige Kenianerin Yesemin Can (früher Vivian Jemutai) ins Team aufgenommen worden. Die Einbürgerung fand erst am 13. März statt. Am Wochenende in Amsterdam lief sie über 5000 und 10.000 Meter die europäische Konkurrenz in Grund und Boden und holte zwei Mal Gold. "Ich habe es satt", sagte die Irin Fionnuala McCormack, die beim Sieg von Yasemin Can nur Vierte geworden war. "Es gibt derzeit keinen Grund, warum man in die Türkei auswandern sollte. Es ist gefährlich, in diesem Land zu leben", sagte die 31-Jährige: "Warum sollten Leute es repräsentieren wollen?" Die englische Presse schließt sich an. Es sei "traurig", wenn Medaillen auf so eine "unverschämte Art" vergeben würden, heißt es im "Telegraph".

Svein Arne Hansen, Präsident des Europäischen Leichtathletik-Verbandes EAA, kündigt Diskussionen an. Man müsse die Bedingungen eines Nationalitäten-Wechsels genau beleuchten: "Der Europäische und die anderen Kontinentalverbände müssen ein Mitspracherecht darüber haben, wenn die Attraktivität der Wettkämpfe beeinflusst wird."

(RP)
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