Leichtathletik-DM Harting und die jungen Wilden

Erfurt · Die Deutschen Meisterschaften vermitteln einmal im Jahr einen Eindruck vom Zustand der Leichtathletik. Der Eindruck aus Erfurt stimmt optimistisch.

Robert Harting – Diskuswerfer, Olympiasieger, Weltmeister
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Das ist Robert Harting

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Zuweilen sagt eine simple Ehrung eine Menge über die Lage einer Sportart aus. Wie jetzt in Erfurt. Da erhielt Oberbürgermeister Andreas Bausen wein am Vorabend der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften die goldene Verdienstmedaille des Verbandes (DLV). Der 44-jährige SPD-Politiker hatte sich beim Umbau des Steigerwaldstadions für den Erhalt der Laufbahn eingesetzt. Und das ist heute genug, um die höchste Auszeichnung des DLV zu bekommen. Denn die deutsche Leichtathletik muss um jedes Stadion kämpfen, das nicht als reine Fußballarena ausgelegt wird. Es ist der Kampf einer olympischen Kernsportart um Berücksichtigung. Ein Kampf, der umso erfolgreicher ist, je erfolgreicher und medienwirksamer sich seine Athleten präsentieren. In dieser Hinsicht gehen die beiden Tage von Erfurt durchaus als Mutmacher durch.

Harting und die jungen Wilden - so lässt sich die Momentaufnahme vier Wochen vor der WM in London zusammenfassen. Wobei von den Harting-Brüdern Robert gemeint ist, der sich mit 65,65 Metern seinen zehnten Deutschen Meistertitel im Diskuswurf sicherte. Auch mit 32 Jahren ist "der Harting" weiterhin der größte, wohl einzige Star der deutschen Leichtathletik. Ob der dreimalige Weltmeister in London nochmal zu einem 68er-, 69er-Wurf in der Lage ist, um bei der Titelvergabe mitreden zu können, ist fraglich, aber er wirft zumindest sehr konstant. Konstanz und Weite gehen seinem Bruder Christoph (26), Olympiasieger von Rio, dagegen komplett ab. In Erfurt wurde er nur Vierter (62,51 Meter) und ließ so bei seinem einmal mehr auf viele Beobachter irritierend leichtfertig wirkenden Auftritt die letzte Chance auf die Erfüllung der WM-Norm (65,00 Meter) aus.

Quasi in Robert Hartings Windschatten haben sich derweil über mehrere Disziplinen hinweg junge Athleten in die Rolle von Hoffnungsträgernhineinmanövriert. Wie Gina Lückenkemper. Die Sprinterin der LG Olympia Dortmund gewann den Titel über die 100 Meter und lief im Vorlauf famose 11,01 Sekunden. Das alles, obwohl die Frohnatur mit der Ruhrpott-Schnute zuletzt eine Woche Trainingspause einlegte - einlegen musste, wie sie sagte, weil "mein Gehirn kurz vor der Kernschmelze stand". In Erfurt nun sagte die 20-Jährige: "Nach den 11,01 im Vorlauf hab ich mit einer Zeit unter elf Sekunden geliebäugelt. Aber es hat noch nicht sollen sein." Sie sagte: "Noch". Zur Einordnung: Eine zehn vor dem Komma liefen in Deutschland bislang nur DDR-Athletinnen in den 1980er Jahren. Lückenkemper steht dabei an der Spitze einer ganzen Reihe aufstrebender Sprinterinnen, die leise Hoffnung auf eine Staffel-Medaille in London schüren.

Mehr als nur die leise Hoffnung auf eine Medaille begleitet Pamela Dutkiewicz zur Weltmeisterschaft. Die 100-Meter-Hürden-Sprinterin vom TV Wattenscheid ist in dieser Saison noch unbesiegt und führt die europäische Bestenliste an. "Ich freue mich riesig darüber, dass ich in der Weltspitze angekommen bin. Letztes Jahr war ich Zwölfte bei den Olympischen Spielen, da war ich längst nicht so weit wie jetzt", sagte die 25-Jährige.

Vor allem die letzte Aussage würde wohl auch Konstanze Klosterhalfen unterschreiben, die sich national zum Maß aller Dinge auf der Mittel- und Langstrecke aufgeschwungen und schon vor Erfurt die WM-Normen über 800, 1500 und 5000 Meter erbracht hatte. Mit ihren Leistungen ist sie längst in den Fokus namhafter Sponsoren geraten. In Erfurt konzentrierte sich die 20-Jährige vom TSV Bayer Leverkusen auf die 1500 Meter - und gewann in der Gala-Zeit von 3:59,58 Minuten.

Vereinskollege Mateusz Przybylko holte sich im Hochsprung mit 2,30 Metern seinen ersten Freilufttitel und griff — im Wissen um seine Saisonbestleistung von 2,35 — sogar den Deutschen Rekord von Carlo Thränhardt (2,37/1987) an. Die aktuelle Nummer zwei der Weltjahresbestenliste scheiterte zwar, könnte aber in London durchaus ein Wort um die Medaillen mitreden. "Ich bin in der Form meines Lebens", jubelte der 25-Jährige.

Wie aus jungen Wilden Zugpferde werden können, können die Genannten bei Gesa-Felicitas Krause (24) und Thomas Röhler (25) beobachten. Die WM-Dritte über 3000 Meter Hindernis erzielt die höchsten Sympathiewerte bei den Fans. Das bewies die Stimmung bei ihrem Lauf zum Deutschen Meistertitel am Samstag. Einen zweiten Titel gab es für sie am Sonntag über 5000 Meter. Röhler, der Speerwurf-Olympiasieger, macht seinerseits nie einen Hehl daraus, dass er aus seinen Erfolgen eine Verantwortung für seinen Sport ableitet. Daran wird auch seine gestrige Niederlage gegen Johannes Vetter nichts ändern.

Es ist dieses positive Gesamtbild, das den scheidenden DLV-Präsident Clemens Prokop zu der Aussage bringt: "Wir haben die Krisenjahre überstanden." Nun müssen sie beim DLV nur noch darauf achten, dass genug Stadien mit Laufbahn erhalten bleiben. Vor allem das Berliner Olympiastadion, in dem 2018 die EM stattfindet — und vielleicht bald auch wieder eine WM wie 2009. Der DLV sei jedenfalls bereit, sich zu bewerben, sagte Prokop.

(klü)
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