800 Sportler mit verdächtigen Blutwerten IAAF-Chef Diack wittert nach Doping-Bericht eine Verschwörung

Kuala Lumpur · Das Internationale Olympische Komitee will erst aktiv werden, wenn Doping-Vorwürfe gegen Leichtathleten auch die Sommerspiele betreffen. IAAF-Präsident Lamine Diack spricht von einer gezielten Kampagne. Der deutsche Funktionar Helmut Digel übt scharfe Kritik an der WADA.

 IAAF-Präsident Lamine Diack.

IAAF-Präsident Lamine Diack.

Foto: dpa, hm nic

IAAF-Präsident Lamine Diack sieht den Leichtathletik-Weltverband wegen der jüngsten Doping-Vorwürfe als Zielscheibe einer gezielten Kampagne. "Ich glaube, es besteht die Absicht, Hunderte von Medaillen neu zu verteilen", sagte der 82-jährige Senegalese auf der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Montag in Kuala Lumpur zu den Anschuldigungen, angeblich eine große Zahl von Blutdoping-Fällen vertuscht zu haben.

Zugleich kündigte er eine eingehende Prüfung der Vorwürfe an. "Wir werden uns mit dem Problem auseinandersetzen. Das sind zunächst aber nur Behauptungen", meinte Diack. Die ARD und die "Sunday Times" hatten eine Liste mit 12.000 Bluttests von rund 5000 Läufern ausgewertet, die aus der Datenbank der IAAF stammt.

Darunter sollen 800 Sportler mit dopingverdächtigen Blutwerten sein, die von 2001 bis 2012 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gestartet sind. Unter ihnen sollen auch rund 150 Athleten sein, die Medaillen bei den Topereignissen gewonnen haben. Wie die "Sunday Times" berichtete, sollen auf der IAAF-Liste auch zehn des Dopings verdächtigte Leichtathleten zu finden sein, die bei den London-Spielen 2012 Medaillen gewonnen haben. Das IOC hat in der Vergangenheit nach Doping-Nachtests Edelmetall immer wieder aberkannt. Doping-Proben von Olympia werden zehn Jahre gelagert.

"Wenn es Fälle im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen geben wird, werden wir sie mit unserer Null-Toleranz-Politik ahnden", erklärte IOC-Präsident Thomas Bach. "Im Moment haben wir aber nur Vorwürfe, und es gilt das Prinzip der Unschuldsvermutung für die Athleten." Das IOC wolle nun abwarten, zu welchen Ergebnissen die Untersuchung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) kommt.

Die IAAF war bereits im Dezember 2014 durch eine ARD-Dokumentation über angeblich flächendeckendes Doping und ein korruptes Sportsystem in Russland mit in die Kritik geraten. Im Zuge dieser Affäre hatte Verbandspräsident Walentin Balachnitschew nicht nur sein Amt aufgegeben, sondern war auch als IAAF-Schatzmeister zurückgetreten.

"Für mich liegt der eigentliche Skandal im Versagen der WADA und der IAAF Ethikkommission", sagte Helmut Digel, deutscher Vertreter in der IAAF, der Deutschen Presse-Agentur. Beide Einrichtungen wüssten über die drei dargestellten Probleme - Russland, Kenia und IAAF-Datenbank - mindestens seit zehn Monaten Bescheid.

"Bis heute haben sie der Öffentlichkeit keine nachvollziehbare Erklärung abgegeben, warum keine Verfahren eingeleitet sind und warum die Betrüger nicht ihrer notwendigen Strafe zugeführt werden", meinte Digel. "Darin liegt für mich der eigentliche Skandal." Die Gefahr bestehe nun, dass nach der WM vom 22. bis 30. August in Peking "wieder alles in Vergessenheit gerät und die zumindest vermuteten kriminellen Handlungen nicht geahndet werden".

Adam Pengilly, Mitglied der IOC-Athletenkommission, hatte die IAAF bei der IOC-Session demonstrativ aufgefordert, die Anschuldigungen aufzuklären. "Es sind ernstzunehmende Vorwürfe. Die IAAF war zu lange still", sagte der ehemalige britische Skeletonpilot. Nach der Neuwahl eines IAAF-Präsidenten am 19. August in Peking sollte "der Schutz der Athleten höchste Priorität haben". Um die Nachfolge von Diack bewerben sich die Ex-Spitzenathleten Sergej Bubka und Sebastian Coe.

Diack wies den Vorwurf zurück, im Anti-Doping-Kampf nicht genug getan zu haben. "Wir haben schon 1993 Trainingskontrollen eingeführt und eine vierjährige Sperre für Doping-Vergehen gefordert", erklärte er. "Da waren wir der einzige Verband, der das gefordert hat."

Bundesjustizminister Heiko Maas sieht die Notwendigkeit des geplanten deutschen Anti-Doping-Gesetzes durch die jüngsten Vorwürfe unterstrichen. Sie hätten gezeigt, dass "sportinterne Kontrollen und Sanktionen das Problem nicht gelöst haben", sagte der SPD-Politiker dem "Tagesspiegel" (Montag).

Die Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Dagmar Freitag (SPD), verlangte "Konsequenzen weit über die üblichen Lippenbekenntnisse der internationalen Verbände hinaus". Sie betonte, dass Verbände, die nationalen Anti-Doping-Agenturen und die Justiz den massenhaften Betrug endlich gemeinsam angehen müssten.

(dpa)
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