Paralympics-Sieger startet bei Nichtbehinderten Markus Rehm schreibt Sportgeschichte

Leverkusen · Der Leverkusener Weitspringer startet mit Prothese bei den Deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten.

Paralympics 2012: Weitspringer Rehm mit Weltrekord zu Gold
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Paralympics 2012: Weitspringer Rehm mit Weltrekord zu Gold

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Die Anspannung sei schon eine andere, sagt Markus Rehm. Der Weitspringer hat sich schon auf viele Wettkämpfe vorbereitet, doch heute (ab 15.17 Uhr) startet er in Ulm erstmals bei den Deutschen Meisterschaften. Das Besondere: Der 25-Jährige geht mit einer Behinderung in den Wettkampf mit Nichtbehinderten.

Seit seinem 14. Lebensjahr hat der gebürtige Göppinger keinen rechten Unterschenkel mehr - Folge eines Wakeboard-Unfalls auf dem Main. Eine Prothese ermöglicht ihm ein eigenständiges Leben und sportlichen Wettkampf. Bei den Paralympics in London 2012 holte Rehm Gold. In dieser Disziplin hält der Athlet vom TSV Bayer 04 Leverkusen auch den paralympischen Weltrekord (7,95 m). Im Behindertensport gingen Rehm zuletzt die ebenbürtigen Gegner aus. Deshalb will er bei den Nicht-Behinderten angreifen. Wäre da nur nicht die Diskussion über mögliche Wettbewerbsvorteile durch seine Prothese.

Norm mit 7,65 Metern erfüllt

Die Norm für Ulm hatte Rehm im Februar in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit einem Sprung über 7,65 Meter erfüllt. Kurz darauf nahm er erstmals an einem Wettbewerb Nichtbehinderter teil. Bei den Nordrhein-Meisterschaften in Leverkusen siegte er mit 7,61 Meter. Doch Rehm, der 19 Schritte bis zum Absprung absolviert, wurde zunächst aus der Wertung gestrichen, ehe das Kampfgericht diese Entscheidung revidierte. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) gab ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag, das noch nicht abgeschlossen ist. In Ulm sollen biomechanische Tests weitere Hinweise geben, ob die zu großen Teilen aus Carbon bestehende Prothese dem Athleten Vorteile bringt.

Bisher sind DLV und Rehm auf einer Wellenlänge. Der Leichtathlet bot an, außer Konkurrenz zu starten, schließlich einigte man sich: Bis zum Abschluss des Gutachtens werden Rehms Ergebnisse "unter Vorbehalt" geführt. DLV-Präsident Clemens Prokop lobt den Weitspringer als "stets fairen Sportsmann". In Ulm werden leistungsdiagnostische Tests durchgeführt. "Das hat mit Rehm prinzipiell nichts zu tun. Diese Tests gibt es immer", erklärt Prokop. Per Kamera werden Anlaufgeschwindigkeiten in verschiedenen Abschnitten, Absprungwinkel und Absprungdynamik gemessen.

"Würde definitives Ergebnis anzweifeln"

Die Aufnahmen sollen in erster Linie dazu dienen, allen Athleten die Schwächen ihres Sprungs aufzuzeigen. Diesmal werden sie noch zweckentfremdet. "Dann haben wir Vergleichswerte bei gleichen Bedingungen. Wenn es signifikante Unterschiede zwischen Rehm und den anderen Athleten gibt, müsste man weiterschauen", sagt Prokop.

Eine endgültige Entscheidung nach dem Wettkampf in Ulm erwarten beide Seiten nicht. "Wenn man nach dem Wochenende zu einem endgültigen Ergebnis kommt, würde ich dieses definitiv anzweifeln", sagt Rehm im Gespräch mit unserer Zeitung. "Es sind ja keine abschließenden Messungen. Es fehlen zum Beispiel Daten zur Technik beim Absprung, die man mit Druckplatten im Boden feststellen könnte."

Pistorius war Vorreiter

Rehm ist der Ansicht, dass es neben möglichen Vor- auch Nachteile geben könnte. Der Orthopädietechniker-Meister zieht Parallelen zu Oscar Pistorius. Der Südafrikaner startete 2012 in London als erster beidseitig beinamputierter Athlet in der 400-m-Konkurrenz bei Olympischen Sommerspielen. "Er war Vorreiter für unseren Sport, aber das Gutachten hätte ich an seiner Stelle angezweifelt", sagt Rehm.

Der Kölner Biomechaniker Gert-Peter Brüggemann stellte fest, Pistorius hätte aufgrund seiner Prothesen auf den letzten 100 Metern Vorteile im Vergleich mit seinen Rivalen.

"Gesamtes Bild betrachten"

"Und was ist mit den 300 Metern davor?", fragt Rehm. "Es kann ja sein, dass er dort sogar Nachteile hatte. Man muss schon das gesamte Bild betrachten und nicht nur ein Viertel. Auch bei mir muss das so betrachtet werden. Man kann zum Beispiel nicht nur den Absprung bewerten", erklärt der 25-Jährige, der stets betont, dass er, sollten Vorteile zweifelsfrei nachgewiesen werden, das Gutachten akzeptieren und auf Nicht-Behinderten-Wettbewerbe verzichten würde.

Rehm möchte in Ulm eine neue persönliche Bestleistung aufstellen. "Beim Saisonhöhepunkt hat das bisher immer geklappt", sagt er. Springt er 8,05 Meter oder weiter, hätte er sogar die Norm für die Europameisterschaft in Zürich im August geknackt. "Dann geht das Ganze eine Instanz höher", sagt Rehm. "Wenn ich die Norm packen sollte, sorge ich für rauchende Köpfe bei den Offiziellen."

(RP)
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