Düsseldorf Rehm darf nicht bei der EM starten

Düsseldorf · Bei den deutschen Meisterschaften holt der Weitspringer den Titel. Das Zürich-Ticket erhält der Leverkusener dennoch nicht. Die Zweifel an der Chancengleichheit sind zu groß. Nur ein umfassendes Gutachten könnte Klarheit bringen.

Am vergangenen Samstag schaffte der unterschenkelamputierte Markus Rehm die EM-Norm (8,05 Meter). Bei den deutschen Meisterschaften in Ulm flog der Weitspringer, der zuvor 7,51 Meter und 7,91 Meter erreicht sowie einen ungültigen Versuch hatte, auf 8,24 Meter. Vier Tage später platzte der Traum des Paralympics-Siegers von einem Start in Zürich. Der Leverkusener darf nicht als erster Behinderter bei einer EM der Nichtbehinderten antreten. Neben Reif und Sebastian Bayer nimmt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) den in Ulm drittplatzierten Julian Howard mit zu den Titelkämpfen (12. bis 17. August) in die Schweiz.

Der DLV begründete die Nichtnominierung mit biomechanischen Messungen der Sprünge von Rehm und seines Konkurrenten Christian Reif (8,20 Meter). "Die Werte zeigen, dass sich Anlauf und Absprung signifikant unterscheiden. Es besteht der deutliche Zweifel, dass Sprünge mit Prothese und mit einem natürlichen Sprunggelenk vergleichbar sind", sagte DLV-Chef Clemens Prokop. Er betonte: "Wir leben die Inklusion. Ihre Grenze ist die Vergleichbarkeit der Leistung, die Chancengleichheit im Wettkampf."

Die Trainingswissenschaftler des Olympiastützpunktes Frankfurt/Main stellten bei Anlauf und Absprung von Rehm und dem nahezu gleich weit gesprungenen Reif große Unterschiede fest. Laut Chef-Bundestrainer Idriss Gonschinska hatte Rehm beim Absprung eine Geschwindigkeit von 9,73 Meter/Sekunde, Reif von 10,74. Das begründe die Zweifel, ob vergleichbare mechanische Bedingungen bestehen bei einer Karbonfeder und einem Muskelsehnen-System.

Rehm sei langsamer angelaufen, habe aber eine "überdurchschnittlich hohe Vertikalgeschwindigkeit beim Verlassen des Bodens" gehabt. Dies könnte auf einen Katapulteffekt der Karbonfeder schließen lassen. In den Wettkampf-Bestimmungen heißt es unter Regel 144, Absatz 2c, dass "der Gebrauch von Technologien oder Geräten, die dem Nutzer einen Vorteil gewähren, den er bei regelgerechter Ausrüstung nicht hätte", verboten sind.

Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) respektierte und bedauerte die Nichtnominierung. "Es ist schade. Ich hätte dem DLV gewünscht, mutiger zu sein", sagte Vizepräsident Karl Quade. Enttäuscht zeigte sich auch die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. "Das ist kein guter Umgang mit der Leistungsfähigkeit von Behinderten, was ich sehr irritierend finde. Wenn Markus Rehm 7,50 Meter gesprungen wäre, hätte es keinen gestört", sagte Verena Bentele.

Der von Rehm besiegte Reif äußerte sich auf Twitter: "An der Weitsprunggrube konnte dich niemand schlagen, und trotzdem wirst du nicht für die EM nominiert, weil eilig - aber viel zu spät - ausgewertete Analysen zum Ergebnis kommen, dass du einen Vorteil haben sollst. Vorteil hin oder her: Für mich bist du dennoch ein Gewinner, denn du hast es allen gezeigt, wozu Sportler mit Behinderung fähig sind."

Der DLV hat sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht, die möglichen Folgen der Starterlaubnis für Rehm in Ulm aber unterschätzt. Die Daten, die zur Verfügung standen, ersetzten aber kein umfassendes Gutachten, das eine fünfstellige Summer kosten würde. "Was im Wettkampf gemacht werden kann, reicht nicht aus, um zu beurteilen, ob und wie eine Prothese im Vergleich zu gesunden, leistungsfähigen Gelenken funktioniert", sagte Gert-Peter Brüggemann. Er leitet das Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln, das im Fall von Stelzenläufer Oscar Pistorius (Südafrika) ein Gutachten erstellte.

Für Alfons Hörmann hat Rehm eine wichtige Debatte angestoßen. "Sowohl sein Fall als auch die generelle Frage von Inklusion im Spitzensport stehen mit der Entscheidung nicht am Ende, sondern am Anfang einer Entwicklung", sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Eigentlich wollte Rehm die Entscheidung des DLV akzeptieren. Nun will er die Begründung abwarten und dann über einen Gang vors Gericht entscheiden. "Es ist nicht richtig, dass alles von der Prothese abhängt. Das soll nicht in den Köpfen der Menschen hängenbleiben", sagte der 25-Jährige.

(dpa/RP)
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