Bolt von Gatlin geschlagen Warum die Leichtathletik nun zwei Probleme hat

London · Die Ära des großen Usain Bolt endete mit einer Niederlage. Vor 60.000 Fans im Londoner Olympiastadion musste sich Bolt in seinem letzten 100-m-Finale erstmals geschlagen geben. Nach dem Rennen herrschte eine skurrile Atmosphäre.

Weltmeister Gatlin verneigt sich vor Usain Bolt
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Weltmeister Gatlin verneigt sich vor Bolt

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Foto: rtr, tj

Eigentlich war alles wie immer, wenn ein Finallauf mit Usain Bolt bei einem Großereignis zu Ende gegangen war. Der jamaikanische Superstar gönnte sich unter dem ekstatischen Jubel eines ekstatischen Publikums eine ausgiebige Ehrenrunde. Doch es war beileibe nicht alles wie immer. Denn zum einen waren die 100 Meter der WM von London ja Bolts letztes großes Einzelrennen auf großer Bühne — und zum zweiten hatte er diesmal gar nicht gewonnen, war sogar nur Dritter geworden. Und schließlich hatte sich ausgerechnet der in der öffentlichen Wahrnehmung längst zum Anti-Helden stilisierte, wiederholt überführte Doper Justin Gatlin Gold geholt.

Gatlin verzichtet auf Ehrenrunde

So herrschte in den Minuten nach dem historischen Lauf dann auch eine einigermaßen skurrile Atmosphäre im Olympiastadion. Man konnte in vielen Gesichtern auf den Rängen ablesen, wie das Gehirn dahinter zu verarbeiten versuchte, dass Bolt nicht als Weltmeister abgetreten war. Dabei schien das doch garantiert, schien das doch im Ticketpreis inbegriffen. Bolt war doch in den vergangenen zehn Jahren nur einmal geschlagen worden, und das von sich selbst bei der WM 2011 in Daegu per Fehlstart. Dieser Bolt sollte sich also beim größten Abschied, den wohl je ein Leichtathlet genossen hatte, nicht ans Drehbuch gehalten haben? Kaum zu fassen, schienen all die zu meinen, die trotzig "Usain-Bolt"-Sprechchöre in den Londoner Nachthimmel tönten. Zu diesem Zeitpunkt war Sieger Gatlin längst aus dem Blickfeld der Massen verschwunden. Er war nach dem Rennen zwar von seinen Gefühlen überwältigt auf der Laufbahn zusammengesunken, aber eine Ehrenrunde zu einem tosenden "Buh!" wollte sich der US-Amerikaner dann doch nicht antun.

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Bolt seinerseits machte derweil auch nach dem Bronze-Abschied einfach das, was er kann. Und was die Leichtathletik-Welt von ihm immer erwartete: Show. Posen. Als Fotomotiv herhalten. Sich vermarkten. Das hat er über die Jahre perfektioniert. Mit Bolt verschwindet eben auch die Marke Bolt. Nicht nur der Weltrekordler. Der elffache Weltmeister. Der achtfache Olympiasieger. Nein, eben auch der wohl größte Unterhaltungskünstler, den seine Sportart bislang gesehen hat. "Es war mir eine Ehre. Natürlich hätte ich gerne gewonnen, aber ich bin glücklich", sagte Bolt.

Bolt hinterlässt Lücke und Fragen

Was Bolt bei seinem Karriereende mit 30 zurücklässt, ist eine Leichtathletik, die so rein gar nicht weiß, mit wem sie die Lücke schließen soll, die nun entsteht. Es ist eine Leichtathletik, die sich wahrscheinlich inzwischen damit abgefunden hat, dass auf Sicht weniger Lametta sein wird. So wenig Lametta wie vor Bolt eben. Was bleibt, sind aber neben der großen Lücke auch mindestens drei Fragen, die Bolt der Leichtathletik und ihren Anhängern hinterlässt: War er am Ende nur ein Star oder eine Legende? Oder gehört zum Legendendasein dann doch mehr gesellschaftliche Relevanz des eigenen Ausnahmekönnens als nur reine Unterhaltung? War er bis zuletzt vor allem ein großes, verspieltes Kind auf großer Bühne oder der cleverste Selbstvermarkter auf 100 Metern? Und waren seine Leistungen wirklich immer nur allein dadurch möglich, dass eine Laune der Natur ihn mit außergewöhnlichen Hebeln ausgestattet hat — oder war er am Ende nur der pfiffigste all jener, die in dieser Sportart schon betrogen haben?

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Antworten auf diese Fragen stehen in nächster Zeit genauso wenig zu erwarten wie ein annähernd adäquater Superstar-Ersatz. Oder so wenig wie eine Sympathiewelle für Justin Gatlin. Vor Samstagabend hatte die Leichtathletik nur das Problem, sich künftig nicht mehr über Usain Bolt vermarkten zu können. Seit Samstagabend hat sie zudem das Problem, einen Weltmeister haben, über den sie nicht unmöglich vermarkten kann. Es soll schon Sportarten gegeben haben, die sich einfacheren Aufgaben stellen mussten.

(klü)
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