Volkskrankheit trifft auch den Sport Neun Millionen Deutsche leiden unter Burn-out

Düsseldorf (RP). Das Burn-out-Syndrom ist ein Phänomen der Neuzeit. Es trifft vor allem Menschen, die auf dem Sockel einer gewissen Empfindsamkeit oder gar Ängstlichkeit hohe Anforderungen an sich selbst stellen oder diese Anforderungen durch die Umgebung vermittelt bekommen. Nach Schätzungen der Betriebskrankenkassen sind rund neun Millionen Deutsche vom Burn-out-Syndrom betroffen.

Wenn der Stress für Sportler zuviel wird
11 Bilder

Wenn der Stress für Sportler zuviel wird

11 Bilder

Ralf Rangnick hat den Druck offenbar kaum noch ertragen. Der Schalker Mannschaftsarzt, obzwar kein Psychiater, hat die Vernetzung von psychischem und körperlichem Kräftemangel genau beschrieben. Rangnick schlief zuletzt schlecht und litt an Ruhe- und Appetitlosigkeit. Er fühlte sich ausgelaugt — das sind typische Zeichen des vegetativen Erschöpfungssyndroms.

Es ist nicht auszuschließen, dass Rangnick bei einem anderen Verein deutlich später in diese Krise geraten wäre, denn mit Schalke 04 verbindet ihn eine spezielle Geschichte. Im Dezember 2005 war ihm als Trainer auf Schalke gekündigt worden, nachdem die Mannschaft zuvor eine gute Serie hingelegt hatte. Rangnick schien es damals zugleich, als sei sein Engagement nicht gewürdigt worden — das schmerzte den als perfektionistisch geltenden Trainer offenbar nachhaltiger, als man es glaubte.

Auch die Hoffenheimer Ära zeigte eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Zielstreben und dem Gefühl, von den Zwängen und persönlichen Vorlieben der Vereinsführung allzu stark dominiert zu werden. Bei seiner zweiten Amtszeit auf Schalke bekam Rangnick nicht alle Wünsche auf dem Transfermarkt erfüllt.

In dem feingeistigen Fußballlehrer verdichtete sich womöglich jenes Phänomen, das die medizinische Soziologie die "Gratifikationskrise" nennt: Einsatz und Engagement werden dauerhaft nicht angemessen belohnt oder gewürdigt. Dadurch entsteht Krankheitspotenzial.

Ist im Volksmund die Rede von einem erhöhten Stresslevel, so ist positiver Stress von negativem zu trennen. Negativer Stress und fortgesetzte Gratifikationskrisen fördern eine dauerhaft erhöhte Konzentration des (in der Nebennierenrinde produzierten) Stresshormons Kortisol im Blut; dies schwächt langfristig das Immunsystem, befördert entzündliche Prozesse im Körper und erhöht das Risiko, an Diabetes oder einem Herz-Kreislauf-Problem zu erkranken. Zugleich befördert die Gratifikationskrise auch das Gefühl der Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit, schließlich der Apathie. In diesem Zustand ist Rangnick angelangt, und es wird ihn extreme Kraft gekostet haben, sein Befinden öffentlich einzugestehen. Dies, so meinen Fachleute, ist aber der erste und beste Schritt zur Heilung.

Aus dem Sport sind Fälle von Burn-out bekannt. Bei Nationaltorwart Robert Enke führte das Syndrom in die Depression und zur Selbsttötung. Erst kürzlich hat Hannovers Ersatztorwart Markus Miller bekannt gegeben, dass er sich wegen mentaler Erschöpfung in Behandlung begibt. Fußballprofi Sebastian Deisler, Tennisprofi Florian Mayer und Skispringer Sven Hannawald wurden behandelt. Die Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel schrieb ein Buch über ihren Klinikaufenthalt nach einem Zusammenbruch. Auch die Fernsehköche Johann Lafer und Tim Mälzer litten unter totaler Erschöpfung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort