Darts-EM in Mühlheim Oktoberfest mit spitzen Pfeilen

Mülheim/Ruhr · Die weltbesten Dartsspieler, angeführt von Weltmeister Michael van Gerwen und Rekord-Champion Phil Taylor, ermitteln in Mülheim an der Ruhr ihren Europameister. Die Stimmung in der Halle erinnert an Box-Veranstaltungen.

Phil Taylor – Rekordweltmeister und Darts-Legende
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Das ist Phil Taylor

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Foto: dpa, dul kno

Plopp, plopp, plopp. Verstärker und Boxentürme schicken den Klang der Treffer in den letzten Winkel der Sporthalle. Plopp, plopp, plopp. Immer drei Pfeile nacheinander. Zwischendurch brüllt ein Ansager mit sonorer Stimme auf Englisch eine Zahl in den Saal. One hundred oder Ninety-irgendwas. Dem Publikum ruft er die Zwischenstände zu, die er und zwei Schiedsrichter auf der Dartscheibe ablesen. Er trägt einen schwarzen Anzug und klingt wie Michael Buffer, der weltbekannte Box-Schreihals.

Die Zuschauer klatschen, oder sie stöhnen wie bei einem Fehlschuss im Biathlon, oder sie brechen in orkanartigen Jubel aus und schwenken Pappen, auf denen "180" steht. Das ist die maximale Punktzahl, die ein Spieler mit drei Pfeilen erreichen kann.

Plopp, plopp, plopp, "one hundred eighty", kommt oft vor. Die Besten der Welt sind am Start. Seit gestern findet die EM der Professional Darts Corporation (PDC) in Mülheim an der Ruhr statt. Wie beim Boxen gibt es mehrere internationale Verbände, die PDC ist der bedeutendste. Und ihre Europameisterschaft gilt als das wichtigste Turnier, das nicht auf den britischen Inseln stattfindet. Es geht um 250 000 Pfund Preisgeld, also deutlich mehr als 300 000 Euro. Der Sieger bekommt rund 70 000 Euro.

Der Innenraum der 70er-Jahre-Sporthalle, die den etwas hochtrabenden Namen "RWE Arena" schmückt, steht voll von Bierbänken und -tischen. Wie beim Oktoberfest. Die Zuschauer trinken Bier und essen Schnitzelbrötchen, der Raucherbereich vor dem Eingang ist stets gut gefüllt. Merkwürdige englische Akzente sind zu hören. Dieser Sport verleugnet nicht, dass er aus dem Pub kommt. Andy Fordham, ein früherer Superstar von 190 Kilogramm und mit der Einlaufmusik "I'm too sexy", brüstete sich einst damit, über 20 Jahre täglich 25 Flaschen Bier getrunken zu haben.

In zwei Wochen finden an gleicher Stelle die Deutschen Meisterschaften in den Standardtänzen statt. Dann geht es wohl etwas weniger rustikal zu. Die Discostrahler, die Schreierei des Ansagers, das Gebrüll der Fans, die rockige Einlaufmusik, zu der die Spieler begleitet von schlanken Damen einmarschieren - eine Stimmung wie beim Boxen.

Die Silhouette von Dave Chisnall ziert die Bierbecher aus Plastik. "Chizzy" steht drunter. Der leibhaftige "Chizzy" oben auf der Bühne ist gut drauf. Plopp, plopp, plopp. Den linken Mundwinkel grotesk verzerrt, beim Wurf immer ein bisschen nach vorn federnd, spult er sein Pensum ab. Als er seine Erstrunden-Partie gegen Jyhan Artut aus Holzminden gewonnen hat, grüßt er lässig winkend und ohne eine Miene zu verziehen, nimmt einen Schluck Wasser und zieht von dannen. "Der 34-Jährige aus St. Helens in Nordengland hat noch etwas vor. Er ist an Nummer acht gesetzt. Cool sein, Selbstbewusstsein demonstrieren - das gehört zum psychologischen Begleitprogramm.

Die Superstars sind am späten Abend dran. Der Niederländer Michael van Gerwen (25), genannt "Mighty Mike", und der Engländer Phil "The Power" Taylor (54) führen die Setzliste an. Van Gerwen ist der aktuelle Weltmeister, Taylor der Rekordchampion. Das Duell ist auf der britischen Insel ein Dauerthema. ITV Sports, der größte Privatkanal, überträgt aus "Mjulheim". Sport 1 liefert dem deutschen Publikum das ganze Wochenende Live-Bilder zur Hauptfernsehzeit ab 20 Uhr. Der Präzisionssport hat hierzulande eine Fangemeinde gefunden.

Die Londoner Zeitung "The Guardian" hat den Reiz des Spiels, das in England gerade nach den Feiertagen hohe Einschaltquoten hat, mal so erklärt: "Das ist der perfekte Fernsehsport nach all den Weihnachts-Exzessen. Wenn Sie sich grotesk übergewichtig vorkommen und ausgelaugt von Besäufnissen, ist es der Sport, sich besser zu fühlen." In dieser Zeit habe niemand Lust, asketische Athleten zu sehen. Lieber "riesenbäuchige Männer mit Hemden wie Zirkuszelte", die den Bildschirm füllen, "um Helden einer Nation mit kollektiver Verdauungsstörung zu werden". Das Doppelkinn gehört zum Dartsspieler wie das Blumenkohlohr zum Ringer.

"Riesenbäuchig" ist Phil Taylor zwar nicht, aber auf dem besten Weg dorthin. Einen Weltklassesportler stellt man sich etwas, naja, wohlgeformter vor. Tatsächlich gab Taylor rein körperlich betrachtet mal eine bessere Figur ab. Vor 20 Jahren, als er noch als Maschinenschlosser arbeitete und Bodybuilding betrieb. Seine Frau, man höre und staune, schickte ihn aber lieber in die Kneipe, damit er mal unter Menschen komme. So begann in Stoke-on-Trent die Weltkarriere, die Taylor zum Multimillionär machte. Auf die Frage, wo seine besondere Stressfestigkeit herkommt, antwortete er: "Schaff dir vier Kinder an, das klärt den Geist."

(RP)
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