Olympia-Kolumne Auf dem Traumschiff trägt ein Bär die Ringe

London · Der Bär hat es nicht leicht. Stunde um Stunde, Tag für Tag muss er die fünf Ringe tragen. Diese Ringe können ja eine gewaltige Last sein, wie Athleten und Trainer (und manche Journalisten) wissen.

Doch der Bär macht seinen Job als Maskottchen der Berliner Delegation bislang prima. Er ruckelt nicht, er wackelt nicht. Als Gewichtheber stellt er sich jedenfalls besser an als Matthias Steiner, dem die Hantel beim olympischen Kräftemessen der Superstarken fast das Genick gebrochen hätte. Doch während sich die Athleten und Trainer (und manche Journalisten) nach der Schlussfeier am Sonntag in den Urlaub verabschieden, trägt der Bär weiter an seiner Last.

Der Gute steht im neunten Stock am Heck des "deutschen Schiffs". Das wiederum muss noch viele Sportler wohlbehalten von London nach Hause bringen. Am Montag sticht das Generationen von Sonntagabend-Fernsehguckern bekannte "Traumschiff" in See. Am Mittwochfrüh sollen die kostbaren Passagieren in Hamburg an Land gehen.

Für Medaillengewinner, Bestleistungsaufsteller und nützliche Teammitglieder ist die Rückreise auf der MS Deutschland, wie das Schiff amtlich heißt, eine hübsche Belohnung für die Mühen olympischer und vor allem vorolympischer Plackerei. Für die anderen wird sich an Bord sicher ein guter Tropfen findet, um den Frust herunter zu spülten.

Rund drei Woche lag das "deutsche Schiff" vertäut in den Docklands. Dort werden lange keine Frachten aus britischen Kolonien umgeladen, sondern das Geld kreiselt hier mit atemraubender Geschwindigkeit durch die Wolkenkratzer, die die Logos von Banken tragen, die aus der Krisenberichterstattung der vergangenen Jahre weltweit berühmt-berüchtigt sind.

Die "MS Deutschland" hat zwischen ihnen eingeparkt und sich dabei ein paar Schrammen zugezogen. Wie ein Spielzeugboot sieht es vor den Türmen der Finanzwelt aus. Der Bär auf seinem Platz am Heck wird winzig. Und die Ringe sind nicht mehr als ein klitzekleiner Farbtupfer in dieser Welt der Milliardendeals. Hier zeigt sich Athleten und Trainern (und manchen Journalisten): Es gibt doch noch Größeres als Olympia. Man hätte es vergessen können.

(RP/seeg)
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