Olympia-Held Frank Busemann im Interview "Bei Olympia geht es nur um Medaillen"

Marburg · Frank Busemann ist einer der letzten deutschen Olympia-Helden. Der Zehnkämpfer gewann Silber in Atlanta 1996. Er spricht über die Bedeutung des Medaillenspiegels, den Aufschwung der Leichtathletik und verrät, dass er 2011 an ein Comeback gedacht hat.

13 Fakten zu Olympia
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Marburg Frank Busemann (37) würde gern einen Schluck Wasser trinken. Doch er schafft es nicht bis zum Getränkestand. Bei der Gala "100 Jahre olympischer Zehnkampf" in Marburg wird er immer wieder in Gespräche verwickelt. 16 Jahre nach dem Gewinn der olympischen Silbermedaille hält sein Ruhm an. "Herr Busemann, wir haben damals so mit Ihnen gezittert", "Herr Busemann, Sie haben uns so viel Freude bereitet", "Herr Busemann, Sie sind ja so bescheiden", rufen ihm vorwiegend ältere Damen zu. Kürzlich ist der Dortmunder zum zweiten Mal Vater geworden. Er verdient sein Geld mit Vorträgen und Seminaren, außerdem entwickelt er für einen Reiseanbieter Sportprogramme.

Gleich nach Ende des Zehnkampfs 1996 haben Sie gesagt, dass Sie ein paar Jahre brauchen, um dieses Ereignis zu verarbeiten. Haben Sie es jetzt geschafft?

Busemann Klar, habe ich jetzt ein bisschen mehr Gespür für die Bedeutung. Aber wo ich jetzt noch einmal die Bilder sehe, muss ich sagen: Ich bin total davon begeistert, was das Leben bietet. So etwas mal mitzumachen, das ist ein Traum. Eben haben wir einen Film über 100 Jahre olympischen Zehnkampf gesehen. Ich habe eine halbe Stunde mit offenem Mund auf die Leinwand geschaut.

Wer ist für Sie der größte Zehnkämpfer der Geschichte?

Busemann Willi Holdorf! Ich mag ihn als Typ. Als Athlet habe ich ihn natürlich nicht gesehen. Doch so wie er 1964 in Tokio beim Gewinn der Goldmedaillen ins Ziel geplumpst ist, total ausgepumpt, das macht den Zehnkampf aus.

1996 stand die ganze Nation hinter Frank Busemann. Haben Sie das wahrgenommen?

Busemann Nein, in keinster Weise. Als mein Vater nach dem ersten Tag zu mir kam und mir sagte, dass ich auf Platz zwei liege, dachte ich nur: Für den Guten ist das vielleicht auch alles etwas viel hier. Ich habe ihm nicht geglaubt. Nach dem Wettkampf habe ich meine Freundin angerufen und ihr gesagt, dass es ganz gut gelaufen ist. Die sagte nur: Ganz gut? Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist, alle sind total aus dem Häuschen.

Wie sehen Sie die Aussichten der deutschen Mannschaft?

Busemann Platz fünf im Medaillenspiegel ist zementiert. Die Briten fahren ziemlich auf und werden vor uns sein wie auch die USA, China und Russland. Nach hinten sehe ich aber keinen, der uns gefährden kann. Platz fünf ist ja auch das erklärte Ziel. London liegt vor der Haustür. Es gibt keine Ausreden.

Wie nehmen Sie als Sportler die Medaillenzählerei wahr? Viele Athleten mögen diese Zuspitzung auf Gold, Silber und Bronze ja nicht.

Busemann Medaillen sind das, worum es geht. Natürlich bildet der Medaillenspiegel die wahre Leistungsstärke nicht ganz ab. Ein achter Platz ist für einen, der sich gerade so qualifiziert hat, eine Riesenleistung. Doch so ist leider der Sport: Es geht um Platz eins, zwei und drei — oder sogar nur Platz eins.

Ist Gold im Zehnkampf nach dem Weltrekord des Amerikaners Ashton Eaton vergeben?

Busemann Im Zehnkampf nie. Aber Ashton hat in der Bestenliste 500 Punkte Vorsprung, das ist sehr viel.

Wie hoch schätzen Sie Europameister Pascal Behrenbruch ein?

Busemann Für eine Medaille ist er gut. Wer 8500 Punkte erreicht, bewegt sich in der absoluten Weltklasse.

War sein Zehnkampf bei der EM in Helsinki zu dicht vor den Olympischen Spielen?

Busemann Das wird sich zeigen. Ich sage: Ja, der zeitliche Abstand ist zu gering. Aber ich lege da vielleicht auch zu sehr meinen Maßstab an, ich bin nicht so robust wie Pascal.

Wie schätzen Sie die Möglichkeiten der deutschen Leichtathleten insgesamt in London ein?

Busemann Vor einem halben Jahr habe ich gesagt: Fünf Medaillen sind kein Problem. Jetzt haben sich acht Athleten in Position gebracht. Vielleicht bringen davon drei Leute die Leistung nicht. Aber vielleicht überraschen auch zwei positiv. Ich glaube, dass London für die deutsche Leichtathletik so gut wird wie seit zwölf Jahren nicht mehr.

Für die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wäre es aber gut, wenn nicht nur Werfer Medaillen holen würden.

Busemann Medaillen im Laufen können wir uns abschminken. Aber was stört Sie am Wurf? Das ist auch ein Teil der Leichtathletik. Ich differenziere da nicht.

Was wird das Besondere an den Spielen in London?

Busemann Die Olympischen Spiele in Sydney 2000 waren für mich bislang das Größte, was in der Umsetzung da war. Da war Flair, das war groß, international, familiär. Das hatte das gewisse Etwas. Das habe ich danach nicht mehr so erlebt. London traue ich so etwas zu wie Sydney.

Aber dann darf es nicht regnen.

Busemann Da halte ich mich ganz an die Stabhochspringerin Martina Strutz. Die sagt: Egal, da kommt ein bisschen Regen, du nimmst den Pinn und springst einfach rüber. Großartig, aus so einem Holz werden Meister gemacht.

Sie haben eben betont, dass Pascal Behrenbruch nicht so anfällig ist wie Sie. Welche Leiden haben Sie noch?

Busemann Nix, absolut nix. Ich bin vergangenes Jahr in Joggingschuhen bei der Sportabzeichentour 1,90 Meter hoch gesprungen. Letzte Woche habe ich die große Kugel 13,02 Meter weit gestoßen. Ich kann alles machen.

Wie viele Punkte würden Sie heute im Zehnkampf erreichen?

Busemann Nach den 1,90 Meter habe ich vier Stunden ernsthaft darüber nachgedacht, ob ich noch einmal anfangen soll. Dann habe ich gedacht: Sonst regst du dich immer über die Leute auf, die nicht nachdenken und ein Comeback starten. Ich glaube, ich war mir immer bewusst, was ich tue. Dann die Frage: Warum soll ich mit 37 gesund bleiben, wenn ich mit 25 immer verletzt war? Es war ein Hirngespinst. Dennoch habe ich meine möglichen Punkte zusammengezählt und bin mit zehnmal Träumerei auf 8000 Punkte gekommen. Realistisch wären es 7500 geworden. Aber dafür hätte ich richtig trainieren müssen, und das tut weh. Also: Lieber nicht!

Martin Beils führte das Gespräch.

(RP/sgo/seeg)
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