Rivalen im Ring Bei den Harting-Brüdern prallen Welten aufeinander

Rio de Janeiro · Als Christoph Harting völlig überraschend Olympia-Gold holte, saß sein Bruder Robert auf der Tribüne und musste zusehen. Er applaudierte seinem jüngeren Bruder, doch der ganz große Jubel kam nicht auf. Im Ring sind die beiden erbitterte Rivalen.

 Christoph und Robert Harting nach der Qualifikation in Rio.

Christoph und Robert Harting nach der Qualifikation in Rio.

Foto: ap

Bei Facebook gratulierte Robert Harting dem neuen Olympiasieger. "Hey kleiner Bruder, der Generationenwechsel ist eingeleitet. Ich freue mich extrem für dich", schrieb Harting. "Du hast einen klaren Harting im letzten Versuch gezeigt. Sportlich brauche ich somit nichts mehr beweisen, denn das kannst jetzt du. Nimm es mit und pflege diese Fähigkeiten. Den Diskus schenke ich dir. Respekt! Zwei Olympiasieger im Einzelsport aus der selben Familie." Zudem bat er die Facebook-User, die das Verhalten des neuen Olympiasiegers scharf kritisierten, um "Entspannung: Danke für eure Worte, nehmt ihn nicht zu hart ran." Das alles klang nach einer Übergabe das Staffelstabs, doch den wird der ältere der beiden Brüder sich in Wahrheit so schnell noch nicht dauerhaft entreißen lassen wollen.

Robert Harting hatte den Wettkampf auf der Tribüne des Olympiastadions in Rio verfolgt. Er selbst war überraschend schon in der Qualifikation gescheitert, ein Hexenschuss hatte den dreimaligen Weltmeister auf dem Weg zum nächsten Titel jäh gestoppt. Da saß er nun, neben seiner Freundin Julia Fischer, ebenfalls Diskuswerferin, und quittierte den Triumph seines Bruder mit Applaus und einem etwas gequälten Lächeln. Pure Freude sieht anders aus.

Robert Harting rastet aus... pic.twitter.com/QAvNntUhbH

— RP Online Sport (@rpo_sport) 14. August 2016Für Harting, der selbst um Gold hatte kämpfen wollen, muss es eine Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen sein. Zumal das Verhältnis zu Christoph von Rivalität geprägt ist, wie der Trainer der beiden der dpa bestätigte. "Man könnte meinen, zwei Brüder auf diesem hohen Niveau könnten jetzt die Welt rocken. Ich denke, dass es eher eine Konkurrenz ist, weil sie so unterschiedliche Typen sind", sagte Torsten Lönnfors nach dem Olympiasieg des jüngeren Harting-Bruders.

"Kann eine harte Geschichte werden"

Eine Entspannung ist nach dem Sieg von Rio eher nicht zu erwarten. "Robert hätte hier um eine Medaille und auch um Gold mitkämpfen können. Wenn er diese Motivation für die nächsten Jahre so mitnimmt, wird das eine innerdeutsche Auseinandersetzung, ein Bruderduell, eine harte Geschichte werden", sagte Lönnfors. "Da muss man nur sehen, wie das lösbar ist, dass es nicht schon im Training ständig Konfrontationen gibt."

Die Hartings sind ungleiche Brüder, wie auch der viel diskutierte Auftritt von Christoph Harting in Rio zeigte. Er verweigerte ein Interview in der Mixed Zone, sagte in der obligatorischen Pressekonferenz nur das Allernötigste und rechtfertigte sich damit, er sei "kein PR-Typ". Robert Harting vermarktet sich dagegen so offensiv und erfolgreich wie kaum ein anderer "Randsportler" in Deutschland. Er ist selten um ein Interview verlegen und vertritt dabei immer eine klare Meinung auch zu sportpolitischen Themen. So auch geschehen in der Frage um einen kompletten Ausschluss der russischen Mannschaft bei Olympia. "Ich schäme mich für Thomas Bach", sagte Harting über die Entscheidung des IOC-Präsidenten gegen den Ausschluss. Zudem rief er gemeinsam mit anderen Athleten eine Spendenaktion für Whistleblowerin Julia Stepanowa ins Leben, die mit ihren Aussagen entscheidend zur Aufdeckung des Skandals beigetragen hatte.

"Ja, die beiden sind total verschieden", sagte Vater Gerd Harting, der dpa. "Robert ist der Nachdenkliche, der immer Neues sucht. Christoph will seinen Spaß haben. Das hat man ja auch bei der Vorstellung der Athleten gesehen, als Christoph bis zuletzt der Musikgruppe zugehört hat. Da hat man ihn total authentisch erlebt."

Dass Christoph auch bei der Siegerehrung seinen Spaß haben wollte, stieß vielen Zuschauern und anderen Athleten allerdings bitter auf. Für die Faxen bei der Nationalhymne musste er viel Kritik einstecken. "Gold im Diskus ist echt super geil!!! Aber für dieses Verhalten schäme ich mich in Deutschland vor dem TV!", schrieb Sebastian Bayer, früherer Hallen-Europameister und Freiluft-Europameister im Weitsprung bei Facebook. Gerd Harting verteidigte seinen Sohn. "Das ist Christoph und seine Art, Erfolge zu feiern", sagte er und betonte: "Wir sind sehr stolz auf unsere beiden Kinder. Sie sind beide sehr charakterstarke Typen."

Christoph Harting hat sich mittlerweile für sein Verhalten entschuldigt und versucht, es mit der Ausnahmesituation des Olympiasieges zu erklären. "Wie bereitet man sich darauf vor, Olympiasieger zu werden? Ich meine, selbst bei aller Tagträumerei, die man irgendwie vollziehen kann - sowas kannst du dir nicht vorstellen, sowas kannst du dir nicht ausmalen", sagte er im Interview der ARD. "Ich meine, die haben die Hynme nur für mich gespielt. Es war unfassbar. Stillstehen war nicht so meins, deswegen ist das vielleicht falsch angekommen."

Auch der gemeinsame Trainer betonte, wie verschieden die beiden Brüder sind. "Was der eine mag oder tut, ist für den anderen ein No-Go. Das betrifft beide Seiten, weil sie so weit auseinander liegen mit ihren Sicht- und Handlungsweisen sowie ihrem Verständnis für Sport und die Welt", erklärte Lönnfors. "Das ist halt leider so und prallt manchmal aufeinander. Im Training ist es gut, weil man ein hohes Leistungsniveau hat, das puscht jeden."

Robert Harting hat nach dem Sensations-Aus in der Quali bereits angekündigt, so nicht aufhören zu wollen. Sogar die Olympischen Spiele in Tokio sind wieder ein Thema für den 31-Jährigen, der sich in diesem Jahr nach einem Kreuzbandriss zurückgekämpft hatte. "Mal gucken, wie die Motivationslagen sind, wie viel mentale Kraft es noch gibt", sagte er bereits vor dem Finale. Gut möglich, dass der Erfolg des kleinen Bruders, des Rivalen in der eigenen Familie, ihn nun zusätzlich noch einmal motivieren wird.

(areh)
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