Deutsche Olympia-Bilanz Geld ist nicht gleich Gold

Düsseldorf · Die deutsche Olympia-Bilanz fällt durchwachsen aus. Einige Kernsportarten haben ihr Rio-Ziel deutlich verfehlt. Vor Jahresende soll eine Leistungssport-Reform präsentiert werden. Geld steht im Vordergrund der Diskussion, doch es gibt auch andere Stellschrauben.

 42 Medaillen brachten die deutschen Athleten aus Rio de Janeiro mit. 17 Mal Gold, zehn Mal Silber und 15 Mal Bronze.

42 Medaillen brachten die deutschen Athleten aus Rio de Janeiro mit. 17 Mal Gold, zehn Mal Silber und 15 Mal Bronze.

Foto: Radowski

42 Medaillen brachten die deutschen Athleten aus Rio de Janeiro mit. 17 Mal Gold, zehn Mal Silber und 15 Mal Bronze. Platz fünf im Medaillenspiegel. Klingt gut, ist es aber nicht. Das Medaillenziel von "44 plus x" wurde verfehlt. Richtig deutlich wird der Rückschritt anhand der Zahl von Finalteilnahmen. In Brasilien waren es 99, in London 2012 noch 125, in Barcelona 1992 waren es 173. Besonders in einstigen Kernsportarten wie Schwimmen, Fechten, Judo oder Leichtathletik ist der Einbruch enorm. Jetzt geht es um die Frage, was sich ändern muss. Im Herbst steht eine staatliche Leistungssport-Reform an. Viele Spitzensportverbände fürchten finanzielle Einbußen. Wichtiger wird aber sein, wie das Geld verwendet wird.

Reform Bereits vor Rio verschickte das Bundesinnenministerium Briefe an die Spitzensportverbände. Darin wurde angekündigt, für 2017 nur 75 Prozent der bisherigen Mittel für das Leistungssportpersonal "in Aussicht" zu stellen. Auf insgesamt 160 Millionen Euro beläuft sich der Förderbetrag 2016. Am 19. Oktober will das Ministerium informieren, wie die angestrebte Reform aussehen soll. Der DOSB hat bereits mit allen 27 Spitzensportverbänden gesprochen. Leistungssport-Vorstand Dirk Schimmelpfennig erklärte, man müsse stärker darauf achten, "dass Verbände, die eine entsprechende Struktur garantieren und in denen an einer gemeinsamen Linie gearbeitet wird, anders unterstützt werden als Verbände, die das nicht sicherstellen". Anne Wingchen, Geschäftsführerin des TSV Bayer Leverkusen, spricht sich dafür aus, das Geld anders zu verteilen: "Bisher wird ein erfolgreicher Verband belohnt. Wir sollten eher schauen, wo wir in Zukunft erfolgreich sein könnten und danach das Geld verteilen. Das machen wir noch gar nicht." Dieses Konzept lebt der Britische Olympia-Verband vor. Seit dem desaströsen Abschneiden in Atlanta 1996 (36. im Medaillenspiegel) wurde das Fördersystem völlig auf den Kopf gestellt.

Athletenförderung Bis zu 70.000 Euro erhält ein Top-Athlet in Großbritannien vom Staat. Genug Geld, um sich einzig auf den Sport zu fokussieren. Das gibt es in Deutschland selten. Alexander Zverev (19) wird vom Tennisverband mit 60.000 Euro im Jahr gefördert. Von diesem Modell rät Anne Wingchen ab. Sie bevorzugt den Weg, den Linda Stahl gewählt hat. Die Speerwerferin arbeitete über Jahre trotz des Angebots, sich aus dem Beruf mehr zurückzuziehen, weiter als Assistenz-Ärztin im Klinikum Leverkusen. "Dieser duale Karriereansatz ist der richtige Weg. Dafür brauchen wir mehr Partner", sagt Wingchen. Viele Sportler könnten sonst nach ihrer aktiven Karriere in ein Loch fallen. Finanziell können sich Leichtathleten, Fechter oder Schwimmer während ihrer Laufbahn in der Regel nicht absichern. Das ist bei Zverev im lukrativen Tenniszirkus anders.

Trainingssteuerung Schimmelpfennig warf nach Rio einigen Spitzenverbänden vor, die Sportwissenschaft nicht gezielt genug zu nutzen. "Dieser Wissenstransfer muss in den Verbänden bis zum Athleten sichergestellt werden. Die wissenschaftlichen Daten werden oft nur als Empfehlung genommen", betonte Schimmelpfennig.

Trainer Für Schimmelpfennig ist auch die Trainingsqualität ein Problem. "Es muss innerhalb der Verbände gewährleistet sein, dass die verantwortlichen Cheftrainer und Sportdirektoren wissen, dass das, was sie mit ihren Trainern besprechen, auch im täglichen Training umgesetzt wird." Und auch hier geht es um den richtigen Einsatz des Geldes. Beim TSV Bayer Leverkusen sind Übungsleiter teilweise nur durch Mischfinanzierungen von Stiftungen und Sponsoren zu halten. "Trainer sollten eine höhere Wertschätzung erhalten", sagt Wingchen. Gelingt es nicht, die Balance zwischen Aufwand und Ertrag zu verbessern oder zumindest zu halten, drohen - wie bereits geschehen - Spitzentrainer ins Ausland abzuwandern oder ihre Leidenschaft ganz aufzugeben.

Sportstätten Mit 19 Olympiastützpunkten ist Deutschland nominell gut gerüstet. Die Zahl könnte aber reduziert, die Aufteilung der Athleten hingegen überdacht werden. In den USA hat beispielsweise der Stiefvater der Top-Turnerin Simone Biles ein Turnzentrum aufgebaut, in dem alle Spitzenathleten trainieren. Zentralisierung nach Sportart könnte auch in Deutschland zum Tragen kommen. Athleten würden dann auf ein, zwei spezialisierte Stützpunkte verteilt.

Nachwuchs Während sich die Mitgliederzahl des Deutschen Fußball-Bundes in den vergangenen 15 Jahren um 625.863 Mitglieder auf über 6.889.115 (Stand Ende 2015) erhöht hat, verzeichneten andere bedeutende Sportverbände einen Rückgang. Seit 2001 verloren Tennis-, Leichtathletik-, Schwimm-, Basketball- und Handball-Bund zusammen über 680.000 Mitglieder. "Wir müssen die richtigen Trainer aussuchen, die vor allem als Bezugspersonen für junge Menschen dienen. Und dann müssen wir in die Schulen, die Kinder begeistern oder sie dort vor Ort unterrichten, wenn es die Zeit nicht anders zulässt", sagt Wingchen.

Doping Joachim Gauck spielte gestern beim Empfang der deutschen Olympia-Teilnehmer in Frankfurt/Main auf die Doping-Vergangenheit der DDR an: "Ich möchte nicht Präsident eines Landes sein, das Medaillen um jeden Preis will. Das hatten wir schon einmal in Deutschland", sagte der Bundespräsident. Deutschland gilt mit seiner Nationalen Anti-Doping Agentur (Nada) als Vorreiter im Kampf gegen verbotene Substanzen. Mit Ländern wie Russland oder China, denen staatlich gesteuertes Doping unterstellt und teilweise nachgewiesen wurde, mithalten zu wollen, ist nahezu utopisch. "Doping ist das ganz große Problem unseres Sports. Es wird darum gehen, ob wir es in den Griff bekommen", sagt Wingchen.

(RP)
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