Cancellara holt Gold Zeitfahr-Spezialist Martin verpasst Medaillenränge klar

Rio de Janeiro · Der gefallene Radstar Tony Martin war längst auf der "Flucht", als Fabian Cancellara mit Freudentränen in den Augen und einer Kokosnuss in der Hand von seinem Hocker sprang. Nach dem Zeitfahr-Desaster bei den Olympischen Spielen mit dem indiskutablen zwölften Platz wollte Martin nur noch weg. Während "Spartacus" Cancellara aus der Schweiz seine eindrucksvolle Laufbahn in seinem letzten großen Rennen mit dem zweiten Gold krönte, platzte der Traum der letzten deutsche Hoffnung jäh.

 Tony Martin enttäuschte in Rio.

Tony Martin enttäuschte in Rio.

Foto: ap, RB

Martin, immerhin dreimaliger Zeitfahr-Weltmeister, kam im Kampf gegen die Uhr nie auch nur in die Nähe der Medaillen. Der Bund Deutscher Radfahrer bleibt damit wie zuletzt in Peking 2008 ohne Edelmetall auf der Straße, zumindest auf eine Medaille hatte der BDR gehofft.

"Das ist nicht das gewohnte Zeitfahrbild, das ich von mir kenne. Ich bin überhaupt nicht in den Rhythmus gekommen", sagte Martin geknickt - und verließ umgehend das Gelände. Cancellara, Zeitfahr-Olympiasieger 2008 und viermaliger Weltmeister, fuhr bei schwierigen Bedingungen mit Wind und Regen in einer eigenen Liga.

Der einstige Dominator Martin hatte auf dem sehr berglastigen, 54,5 km langen Kurs in einer Zeit von 1:15,33 Stunden stolze 3:18,33 Minuten Rückstand auf Cancellara, den er zu seinen besten Zeiten klar im Griff hatte. Mit einigen Minuten Abstand gab er sich kämpferisch: "Im Moment bin ich wahnsinnig enttäuscht, aber das war es noch nicht."

Dass ihn die Strecke wie zuvor angenommen benachteiligt habe, sah Martin nach dem Fiasko trotz seiner Enttäuschung anders. "Ich muss mich revidieren, der Kurs war schon für jeden. Das sieht man an Cancellara", sagte er der ARD.

Cancellaras Hochgefühl konnte auch der zur Siegerehrung erneut einsetzende Regen nicht trüben. Der 35-Jährige hüpfte auf das Podest wie ein Jungprofi und küsste seine Goldmedaille. Als die Schweizer Hymne lief, wurden seine Augen noch einmal glasig. Hinter Cancellara holten Tom Dumoulin aus den Niederlanden (+0:47 Minuten) und Tour-Sieger Chris Froome (Großbritannien/+1:02) Silber sowie Bronze. Simon Geschke (Berlin) wurde guter 13.

Das Rennen der Frauen gewann Radsport-Oma Kristin Armstrong. Einen Tag vor ihrem 43. Geburtstag holte die Spezialistin zum dritten Mal nacheinander olympisches Gold im Kampf gegen die Uhr - als erste Radsportlerin überhaupt. Als Gratulant trat der lebenslange gesperrte Doper Lance Armstrong auf, weder verwandt noch verschwägert mit der Siegerin.

Martin hat seit den Etappensiegen bei der Tour und der Vuelta 2014 kein großes internationales Rennen in seiner Paradedisziplin gewonnen, Weltmeister war er zuletzt 2013. "Ich muss eben akzeptieren, dass ich zurzeit nicht absolute Weltspitze bin", hatte der Wahl-Schweizer vor dem Rennen gesagt.

Um 11.36 Ortszeit war Martin als vierletzter Starter auf die Rundstrecke mit vier schweren Anstiegen gegangen, direkt vor ihm der mitfavorisierte Cancellara. Zunächst blieb Martin noch einigermaßen in Schlagdistanz zum Schweizer, nach dem ersten schweren Anstieg fehlten 16 Sekunden.

Fokussiert sah Martin unter seinem hellen Visier und dem orangen-gelben Helm aus, doch er verlor rasen schnell an Boden. Die Spitze geriet außer Reichweite, irgendwann schien Martin zu resignieren. Im Ziel ließ er den Kopf hängen, während Cancellara Tränen der Freude vergoss.

(sb/sid)
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