Erinnerungen an Melbourne 1956 Als Olympia noch aus der Musiktruhe kam

Persönliche Erinnerungen an die Spiele von Melbourne vor 60 Jahren, als Australien auch medial am Ende der Welt lag.

 Zieleinlauf im 200-Meter-Finale bei Olympia in Melbourne 1956: Betty Cuthbert (Australien) gewinnt vor der Deutschen Christa Stubnick.

Zieleinlauf im 200-Meter-Finale bei Olympia in Melbourne 1956: Betty Cuthbert (Australien) gewinnt vor der Deutschen Christa Stubnick.

Foto: Imago

Lang ist's her. Aber jetzt wieder ganz frisch in meinem Gedächtnis, weil 60 Jahre, die einst für ein Menschenleben standen, in der Welt der Medien gleich einen Sprung aus der Steinzeit in die Moderne bedeuten. Heutzutage sitze ich bequem auf der Couch und suche mir im Live-Stream des Fernsehens aus, was ich gerade sehen will. Und kann entscheiden: Smart TV, PC, Tablet oder Handy. Selbst auf meinem wenig feudalen Smarty läuft alles reibungslos. So wie unsere tüchtigen Mädchen auf dem Tenniscourt oder unsere Hockeyspieler beim ironisch genannten "Bückeball", während beim Gegurke der deutschen Fußballerinnen die Augen tränen, die TV-Fritzen vor Ort aber meinen, wir daheim müssten es bis zum bitteren Ende im Hauptprogramm sehen. Klar - weil's eben Fußball ist.

Was mir mit einem Schmunzeln bei diesem Komfort in den Sinn kommt, sind unsere umfunktionierten Schulstunden 1956. Wir Pennäler, damals in der Obersekunda (heute die 11), überredeten unseren Musiklehrer in der Aula, doch bitte nicht zum x-ten Mal Smetanas "Moldau" aufzulegen und zu besprechen, sondern uns doch - bitteschön - ausnahmsweise zu erlauben, Olympia zu hören. So viel höflich-freundliche Worte hatte er von uns noch nie gehört, und so durfte aus unserer Klasse ein Technik-Freak (obwohl es dieses Wort noch gar nicht gab) an die Knöpfe.

Und zwar an die Knöpfe eines schwarzen Ungetüms von Musiktruhe, ein Vielfaches so groß wie die üblichen Phonoschränke, die mancher von zu Hause kannte. Erfreulicherweise war zusätzlich zum Plattenspieler ein Radio eingebaut. Wir hörten die Übertragung über einen Sender auf der Kurzwelle, den unser Klassenkamerad suchte und endlich auch fand. Kurzwelle taugt für lange Distanzen - das lernten wir damals während der Sommerspiele 1956 in Melbourne, die in unserem Winter ab Ende November stattfanden.

Mehr gab es nicht an Übertragung aus Down Under, wo man uns neun Stunden voraus war. Sie beschränkte sich meist auf Wortfetzen, zum Beispiel über die Kölner Leichtathleten Martin Lauer und Manfred Germar; wir hörten in mal stärkerem, mal schwächerem Rauschen etwas über die erste gesamtdeutsche Mannschaft mit Sportlern aus der Bundesrepublik, der DDR und dem Saarland, das 1952 noch mit einer eigenen Mannschaft an Olympia teilgenommen hatte.

Aber wir hörten nichts und lasen auch in den Zeitungen nichts vom Schwimmer Carlo Pedersoli. Warum auch? Der Italiener belegte Platz elf über 100 Kraul. Umso größere innere Freundschaft verband uns später mit ihm, wenn wir im Kino saßen - und uns an seinen, an Bud Spencers lustvollen Faustkämpfen erfreuten.

Unser Autor war bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2003 mehr als vier Jahrzehnte lang Sportredakteur der Rheinischen Post. Die meiste Zeit davon leitete er das Ressort Düsseldorfer Sport und zeichnete sich insbesondere als Experte für Eishockey und Tennis aus.

(RP)
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