Ex-DDR-Trainer Ein Deutscher ist der Architekt des Sieges über den Deutschland-Achter

Rio de Janeiro · Da hatte das britische Boot soeben den Traum des Deutschland-Achters vom Olympiasieg auf der Lagoa unerwartet deutlich zum Platzen gebracht, und trotzdem war ein Deutscher einer der großen Gewinner dieses letzten Rennens der Ruderwettbewerbe von Rio.

God! Jürgen Gröbler deserves an honorary Knighthood!! contribution to British rowing is incredible!! @TeamGB pic.twitter.com/va7iHFiMaZ

— Prid (@flatironcopse) 13. August 2016Jürgen Gröbler, 70, geboren in Magdeburg, seit Anfang der 90er Jahre Trainer von britischen Ruderteams und nun Vater des Achter-Triumphs am Zuckerhut. "Das ist zweifelsohne ein Highlight meiner Trainerkarriere", diktierte Gröbler den britischen Journalisten lächelnd in ihre Aufnahmegeräte, und die Aussprache verriet, dass da kein Native-Speaker plauderte. Die Briten nennen ihn seit jeher Grobler.

Wenig später konstatierte der langjährige DDR-Trainer dann mit einer fast großväterlich anmutenden Wärme in der Stimme und in seiner Muttersprache: "Ja, natürlich fühle ich auch mit dem Deutschland-Achter mit. Das ist doch klar. Ich fühle mit jedem Ruderer mit, der verliert, aber das ist Sport. Das sind eben die Olympischen Spiele, da muss man auf den Tag genau seine beste Leistung bringen", sagte er. Und in diesem Rennen zu Füßen des Cristo Redentor, der monumentalen Christusstatue hoch über Rio, brachte der britische Achter eine Leistung auf die 2000-Meter-Strecke, bei der das neben ihm fahrende deutsche Boot schnell und vorentscheidend in Rückstand geriet. Er habe schon ein engeres Rennen erwartet, gab Gröbler später zu. "Es hat mich überrascht, dass wir zwischenzeitlich eine Länge weg waren", sagte er, während sein Trainerkollege Ralf Holtmeyer neidlos anerkennen musste: "Die Briten sind superstark gefahren. Das war ein Gold-Rennen."

Holtmeyers Jungs fiel es dagegen im ersten Moment erkennbar schwer, sich mit dem eigenen Silberrennen abzufinden. "Das waren vier Jahre Arbeit für eine Silbermedaille. Da fragt man schon: Warum?", klagte Schlagmann Hannes Ocik. "Und wenn man die britische Nationalhymne hört denkt man erstmal: Nicht schon wieder." Doch Ruderer sind eben von Natur aus faire Sportler, und so machte sich schon im zweiten Moment im deutschen Team Zufriedenheit über Silber breit. "Die Briten waren einfach besser. Da muss man dann auch mal mit Silber zufrieden sein", sagte Ocik, während Maximilian Reichelt befand: "Wir sind stolz auf Silber. Man kann nicht erwarten, dass wir immer gewinnen."

Gewinner waren also – wie bei den Weltmeisterschaften 2013, 2014 und 2015 – wieder einmal die Briten, aber der ganz große Gewinner hatte an diesem Tag erst gar nicht ins Boot steigen müssen. Es war der Mythos Ruderachter, der mit dem Rennen vor prächtiger Kulisse an der Lagune um eine weitere Geschichte reicher war. So, wie ihn zuvor schon so viele Geschichten zu dem gemacht hatten, was er bis heute ist. Geschichten von legendären Duellen, von Fotofinish-Entscheidungen, von großen Dramen, vielen Tränen, Sektduschen und ins Wasser geworfenen Trainern. Ruderachter – das ist die Fußballnationalmannschaft mit Paddeln. Etwas Unvergleichliches, das hob auch Gröbler hier in Rio hervor. "Keine Frage, mit dieser Tradition ist der Achter das Größte in unserer Sportart", sagte er.

Der Deutschland-Achter ist dann auch hierzulande quer durch alle Altersstufen ein fester Begriff. Es gibt inzwischen sogar Deutschland-Achter-Pullis und -Polo-shirts zu kaufen, so dass jeder ein bisschen Deutschland-Achter sein kann, wenn er möchte. Es gibt keinen Deutschland-Vierer im Bahnradsport, es gibt kein Deutschland-Doppel im Tischtennis, es gibt keine Deutschland-Staffel in der Leichtathletik – nur den Deutschland-Achter im Rudern. Geboren wurde er übrigens 1959, als sich Ruderer aus Kiel und Ratzeburg zusammentaten, im französischen Mâcon als Renngemeinschaft Europameister wurden und ein Jahr später als nationale Auswahl auf dem Albaner See südlich von Rom den ersten Olympiasieg für den Deutschland-Achter holten.

Ein Mythos war in der Welt, und dieser Mythos strahlt seine Faszination auch noch 2016 aus. Als koordiniertes Schauspiel aus Kraft, Technik und Willen. Indes nicht nur in Deutschland. Überall, wo ein Land einen Achter stellen kann, ist er Flaggschiff. Gröbler erklärt, wieso. "Neun Sportler zu einem Team zu formen, ist eine Herausforderung. Die Jungs sind ja keine schwierigen Typen, aber sie sind eben acht Individuen, haben oft genug acht Meinungen und die muss man in Harmonie bringen", sagte er. Neun? Ja, der Steuermann ist die anonyme Nummer neun im Achter.

Der Trainer eines Achters, der sollte, so findet Gröbler, dann aber als Nummer zehn ruhig im Hintergrund bleiben. "Die Helden sind die Athleten, aber sicher nicht der Trainer", sagte er. In seinem Fall sieht das die britische Ruderlandschaft allerdings vollkommen anders, weil er in ihren Augen der Vater des lange andauernden Erfolges in verschiedenen Bootsklassen ist. Geht es für ihn also auch mit 70 weiter? "Ich habe mich noch nicht abschließend entschieden, aber ich genieße meinen Job noch immer", sagte er. Den Mythos Achter hängt man eben nicht so leicht an den Nagel.

(klü)
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