21 Mal Gold für Superstar Söhnchen Boomer juckt das Phänomen Phelps nicht

Rio de Janeiro · Während sein Papa Michael Phelps Tag für Tag aufs Neue in die Geschichtsbücher schwimmt, schläft Söhnchen Boomer unter den Augen der Welt auf der Tribüne in den Armen seiner Mutter. Für das Siegerküsschen wird er aber rechtzeitig wach.

Olympia 2016: Michael Phelps feiert 20. Goldmedaille mit Sohn Boomer
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Phelps küsst Sohn Boomer nach 20. Goldmedaille

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Foto: afp

Boomer Phelps darf heute mal ein bisschen länger aufbleiben. Oder er muss. Oder er soll. Egal, er verschläft das Längeraufbleiben eh. Auf dem Arm von Mama Nicole, einem Model. Halb elf abends ist ja auch wirklich spät. Zumindest für ein drei Monate altes Baby wie Boomer. Aber wenn Papa Michael Phelps gleich unten die 20. olympische Goldmedaille seiner Karriere holen will, sitzt der Rest der kleinen Familie eben auf der Tribüne und drückt Däumchen. Und natürlich blenden die Kameras Phelps junior kräftig ein, wie er da so süß schläft mit den großen Kopfhören über den Ohren.

Papa Michael hat auch große Kopfhörer auf, als er sich dem Startblock im Olympischen Schwimmstadion von Barra nähert. Es ist vielleicht auch besser so, schließlich erzeugt allein sein Erscheinen im proppevollen Rund einen Lärm, der ohrenbetäubend ist. Alle wollen Phelps sehen. Alle wollen Phelps wieder siegen sehen — egal, ob selbst US-Amerikaner oder nicht. Ansonsten hält man hier für den eigenen Landsmann im Becken, aber wenn man für Phelps hält, hält man schließlich auch für die Geschichtsbücher. Da verrät man das eigene Land schon nicht.

Auf der Medientribüne stapeln sich in diesen Momenten schon die ersten. Der beste Blick, das beste Foto, Phelps gucken ist nicht Schwimmen gucken, das ist etwas anderes. Größer. Das geht hier in Rio bei allen Zweifeln an allen Höchstleistungen in jeder Sportart als olympische Einheitsmeinung durch. Der Rummel ist so groß, vielleicht will der Ungar Tamas Kenderesi, der nach Phelps vorgestellt wird und später in diesem Endlauf über 200 Meter Schmetterling Bronze holen wird, genau das auch kritisieren, als er den Scheibenwischer in Richtung Kamera macht. Als wolle er sagen: Der schwimmt doch auch im selben Wasser wie wir!

Ja, das tut Michael Phelps auch an diesem Abend. Und es ist am Ende auch ein denkbar knapper Sieg. Gerade einmal vier Hundertstel schlägt der 31-Jährige aus Baltimore vor dem Japaner Masato Sakai an. Doch egal, Gold ist Gold, Phelps ist Phelps, Phänomen ist Phänomen. Und dieses Phänomen reckt zu den stehenden Ovationen der fast 15.000 Zuschauer die Faust aus dem Wasser in die Höhe. "Der Jubel kam einfach so aus mir raus. Ich wollte diesen Titel unbedingt wiederhaben", sagte Phelps später. In London vor vier Jahren hatte er sich auf dieser Strecke sensationell dem Südafrikaner Chad le Clos geschlagen geben müssen. Diese Goldmedaille war aber auch aus einem anderen Grund genau das, was er wollte. Denn er, der als Kind als ADHS-Therapie zum Schwimmen gekommen war, wollte der erste Ü30-Schwimmer sein, der einen Einzel-Olympiasieg holt. Es ist das nächste Puzzleteil in seiner schier unfassbaren Erfolgsgeschichte unter den fünf Ringen.

Der US-Fahnenträger der Eröffnungsfeier hat mit nun 21 Goldmedaillen — Phelps gewinnt an diesem Abend auch noch mit der Staffel — bei Sommerspielen drei mehr geholt, als die deutschen Männer insgesamt. Mit nun 25 Medaillen bei Olympia hat er alleine mehr gewonnen als Russland, Italien oder Gastgeber Brasilien. Phelps ist der erfolgreichste Olympiateilnehmer in der Geschichte. Phelps wollen viele heute einfach mal live gesehen haben, so wie andere früher Muhammad Ali. Oder andere die Beatles. Oder andere den Eiffelturm.

Dabei hatte das Phänomen ja eigentlich nach den Spielen in London vor vier Jahren aufgehört. Karriereende mit 27 und nach vier Olympischen Spielen. Doch das Leben ohne Schwimmen bekam ihm nicht. Er hatte genug Geld, er hatte genug Freizeit, er spielte eine Zeit lang professionell Poker, aber so richtig glücklich wurde der Mann mit den Segelohren nicht. Auch nicht im Party-Leben mit den Kumpels oder auf dem Golfplatz. Dann im Oktober 2014 der Tiefpunkt: Phelps wird mit 1,4 Promille und überhöhter Geschwindigkeit am Steuer seines Wagens erwischt, er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und muss 45 Tage in eine Entzugsklinik. Zuvor hatte er bereits an seinem Comeback gearbeitet, nun aber schloss ihn der US-Verband für sechs Monate aus. Doch Phelps bündelte den "Ärger über mich selbst", wie er später sagte, danach in altbekannte Energie und schaffte es tatsächlich nach Rio. Zu seinen sechsten Spielen.

Viermal wolle er in Rio Gold gewinnen, hatte Phelps im Vorfeld kundgetan. Das überraschte niemanden, er gewann ja im Prinzip eh immer, wenn er schwamm. Dreimal Gold (mit der 4x100-Meter-Freistil-Staffel, der 4x200-Meter-Freistil-Staffel und eben über die 200 Meter Schmetterling) hat er schon geschafft, über 200 Meter Lagen und 100 Meter Schmetterling soll es mindestens einmal noch gelingen. Dafür lässt er sich sogar schröpfen. Viele fragten sich schon, warum bei ihm lila Flecken am Körper zu sehen sind. Es liegt an der umstrittenen Entspannungsmethode, bei der ein heißes Glas auf die Haut gesetzt wird.

Als die Arbeit an diesem Abend getan ist, holt sich Phelps den kleinen Boomer für eine paar Momente auf den Arm. "Ich wollte ihn ein bisschen bei mir haben. Und es war toll, weil er wach war. Normalerweise schläft er ja immer", sagte der Papa. Halb elf ist eben auch spät für einen Dreimonatigen, wenn der Papa ein Phänomen ist.

(klü)
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