Keine Olympia-Sperre für Russland Das IOC braucht Putin

Lausanne · Das Internationale Olympische Komitee hat sich im Doping-Skandal nicht getraut, die gesamte russische Mannschaft zu sperren. Das ist eine politische Entscheidung.

Russland bei Olympia 2016 in Rio: Die Pressestimmen zur IOC-Entscheidung
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Die Pressestimmen zur IOC-Entscheidung

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Foto: dpa, gh Dok5 nic

Unlängst haben die Experten der US-amerikanischen Bewertungsagentur Brand Finance mal wieder ihre jährliche Rangliste vorgelegt. Sie führt die Marke "Olympia" als zweitwertvollstes Unternehmen der Welt. Und sie taxiert den Wert von Olympia auf 47,5 Milliarden US-Dollar, ungefähr 43 Milliarden Euro. Genau erklärt, wie sie auf diese beeindruckende Zahl kommt, hat die Agentur nicht. Aber ihre Einschätzung legt zumindest mal eine Vermutung nahe: Olympia ist ein blendendes Geschäft.

Das wird der Veranstalter Olympischer Spiele bestätigen können. Das Internationale Olympische Komitee nimmt durch die Spiele im Vierjahres-Rhythmus nach zuverlässigen Schätzungen jeweils mindestens acht Milliarden Euro ein. Nur zehn Prozent davon behält es für sich, der Rest geht an Ausrichter und nationale olympische Verbände.

Die Olympischen Spiele sind für den Konzern IOC die Haupteinnahmequelle. Dafür hat er zahlungskräftige Sponsoren von Coca-Cola bis McDonald's an seiner Seite, und damit kann er die TV-Rechte bestens vermarkten. Seit den Winterspielen von Sotschi 2014 hat das IOC weltweit Rechte für 12,7 Milliarden Euro verkauft.

Die Ausrichtung Olympischer Spiele ist allerdings auch eine teure Angelegenheit. Nicht für das IOC, denn es bedenkt den Ausrichter schließlich nur mit Zuschüssen nach einem festen Schlüssel, nachdem der eigene Gewinn eingestrichen ist. London bekam nach den Spielen 2012 eine Milliarde Euro. In die Tasche greifen musste es weit tiefer. Die Sommerspiele kosteten rund 15 Milliarden Euro, den größten Teil musste der britische Steuerzahler aufbringen.

Der Westen will Olympia nicht mehr

Die Begeisterung der Bürger, sich mit namhaften Summen an der großen Sportinszenierung zu beteiligen, ist nicht überall ungebrochen. Im demokratischen Westen ist sie sogar erkennbar rückläufig. Hamburg sprach sich in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit gegen eine Bewerbung um Sommerspiele 2024 aus, weil die Kosten nicht abschätzbar waren. In München stimmte die Bevölkerung aus Umweltschutzgründen gegen Winterspiele. Die Wintersportnation Norwegen setzte in Oslo bewusst ein Zeichen gegen die Gigantomanie Olympias und entschied sich ebenfalls gegen eine Bewerbung um die Spiele. Ministerpräsidentin Erna Solberg verweigerte die vom IOC verlangte Staatsgarantie in Höhe von 3,04 Milliarden Euro. Stockholm und Graubünden waren schon aus dem Bewerbungsreigen ausgestiegen. Das IOC vergab die Winterspiele 2022 nach Peking.

Ausgerechnet Peking, das bislang nicht als klassische Wintersportregion aufgefallen ist. Das schreckt die hohen Olympier aber nicht, wie sie bereits bei der 50 Milliarden Euro teuren Umrüstung des Schwarzmeer-Badeorts Sotschi zum Standort der Winterspiele 2014 bewiesen. Auch die Tatsache, dass Wettbewerbe auf Schnee rund 200 Kilometer weit weg von Peking ausgetragen werden müssen, bringt die IOC-Gewaltigen nicht um den Schlaf.

Es wird sie jedoch längst nachdenklich gemacht haben müssen, dass zunehmend die vergleichsweise autokratisch regierten Länder zu den Olympia-Bewerbern gehören. Sie leisten es sich, die Bürger vom Entscheidungsprozess auszuschließen. Und sie bleiben dadurch die einzig sicheren Kandidaten für das IOC. Nach der Abstimmung der Hamburger gegen Olympia sagte Andreas Michelmann, der Präsident des Deutschen Handballbundes: "Das Ergebnis heißt, dass ein demokratisch regiertes Land nicht zur Verfügung steht. Wir ziehen zwar über die Sotschis und Dohas her, sind aber nicht in der Lage, selbst Sportereignisse dieser Dimension auszurichten."

Diese Botschaft haben die IOC-Funktionäre und ihr mit allen sportpolitischen Wassern gewaschener Präsident Thomas Bach verstanden. Deshalb führen ihn seine olympischen Werbereisen natürlich in politisch schwierige Gegenden, und deshalb sind Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen in Ausrichter-Ländern allenfalls in vorsichtigen Fensterreden zu vernehmen. Bach würde vielleicht nicht so weit gehen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin als einen "lupenreinen Demokraten" zu bezeichnen, wie das einst der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem bemerkenswerten Redebeitrag tat. Aber Bach hat gerade im russischen Dopingskandal bewiesen, dass er eben nicht mit den selbst angekündigten "härtesten Strafen" gegen jene vorgeht, die er zum Betrieb der eigenen Geldmaschine benötigt.

Bach wäscht seine Hände in Unschuld

Das IOC hat trotz der dringenden Empfehlung der Welt-Anti-Doping-Agentur die komplette russische Mannschaft nicht von den Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen. Mit Sanktionen betraut es nun die internationalen Einzelsportverbände. So kann Bach seine Hände in Unschuld waschen. Bald wird er die neue russische Antidoping-Agentur unter der Leitung des 81 Jahre alten Witali Smirnow feiern, dem Putin einen "tadellosen Ruf" bescheinigt, obwohl er als Funktionär zu finsteren Sowjetzeiten tätig war. Er sitzt übrigens seit 45 Jahren im IOC und war mal dessen Vizepräsident.

Der heutige IOC-Vorstand Patrick Hickey versucht gerade, die zuletzt wirtschaftlich nicht sehr erfolgreichen Europaspiele in Russland unterzubringen. Er wetterte am lautesten gegen eine kollektive Bestrafung der Russen. Und er bewies ein ausgeprägtes Verhältnis zu den Demokratien dieser Welt, als er den weißrussischen Potentaten Alexander Lukaschenko für dessen "herausragende Verdienste um die Olympische Bewegung" mit dem Orden der Vereinigung nationaler Olympischer Komitees ehrte.

Bach wird davon gewusst haben. Verhindert hat er es nicht. Auch das lässt tief ins Herz des IOC blicken.

(pet)
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