Terrorgefahr in Rio Zehn Festnahmen, viele Ungereimtheiten

Rio de Janeiro · Die Verantwortlichen in Brasilien spielen die Terrorgefahr nach der Festnahme von möglichen Attentätern am Donnerstag herunter. Die Aktion wirft aber viel zu viele Fragen auf.

Rio übt den Anti-Terror-Kampf
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Der Verteidigungsminister nennt sie Amateure, der Justizminister sieht weiterhin nur eine geringe Terrorgefahr, der Bürgermeister will erst gar nichts von einem Risiko wissen: Doch trotz aller beruhigenden Worte schreckte die Festnahme von zehn Sympathisanten der Terror-Organisation Islamischer Staat im Olympia-Gastgeberland Brasilien gut zwei Wochen vor dem Auftakt der Sommerspiele die Welt auf.

Sicher: Mit ihrem energischen und prompten Vorgehen demonstrierten Justiz und Polizei, Herr der Lage zu sein, die Terrorgefahr für das Mega-Event in Rio de Janeiro im Griff zu haben. Doch auf den zweiten Blick wirkt vieles eher verwirrend als beruhigend.

Angefangen mit der Tatsache, dass die Polizeiaktion um ein Haar gar nicht erst an die Öffentlichkeit gedrungen wäre. "Der Richter hatte um absolute Geheimhaltung gebeten. Doch die Ehefrau eines der Verhafteten hat das Ganze ins Facebook gestellt. Dadurch haben wir die Kontrolle darüber verloren", gestand Verteidigungsminister Raul Jungmann ein.

Immerhin: Für die Verhaftung lagen genug Beweggründe vor. "Es gab einen ersten Kontakt zum IS. Es gab einen Schwur. Anschließend dann eine Reihe von vorbereitenden Aktionen", erläuterte Justizminister Alexandre de Moraes und bekräftigte: "Es wäre nicht gerade guter Menschenverstand, abzuwarten, was passiert. Besser war es, gleich Haftbefehle zu erlassen."

Anti-Terror-Gesetz seit März gültig

Weil bei Gefahr im Verzug schon Verdachtsmomente ausreichen, wandte Richter Marcos Josegrei da Silva das seit März gültige Anti-Terror-Gesetz erstmals an. Der Jurist stellte aber auch klar: "Niemand wurde verurteilt." Die vorläufige Verhaftung diene nur dazu, schnell Klarheit ans Tageslicht zu bringen.

Und das ist auch nötig. Denn gegenüber der Tageszeitung Folha de S.Paulo bekannte Larissa Rodrigues, Ehefrau eines der Verhafteten: "Wir haben nicht einmal die nötigen Geldmittel, um eine Reise nach Rio zu machen." Außerdem habe ihr Mann, der 2010 zum Islam konvertiert sei und seit vier Jahren Arabisch-Unterricht gäbe, nur zwei Whatsapp-Gruppen: Familie und Schüler.

Aber gerade die Internetaktivitäten haben die ermittelnden Beamten der "Operation Hashtag" auf die Spur der Gruppe gebracht, aus der sich wohl nur zwei Pärchen in der Vergangenheit persönlich gesehen haben. Jubel über die jüngsten Attentate in Orlando und Nizza, das Interesse für ein Maschinengewehr auf einer paraguayischen Internetseite, all dies kam dank Botschafen via Whatsapp oder Telegram zu Tage.

Doch Richter da Silva mahnt: "Nicht alles, was eine Person virtuell von sich gibt, setzt sie auch wirklich um." Deshalb wolle er auch nicht von Terroristen sprechen.

So dachten auch die Leute in Nizza, wo ein Familienvater mit einem LKW den Tod brachte. In Orlando löste vermutlich Intoleranz gegenüber Schwulen ein Gewalt-Inferno aus. Ungebremste Willkür auch beim Axt-Täter in der Nähe von Würzburg.

Angesichts der Unkontrollierbarkeit des Hasses vergriff sich Rios Bürgermeister Eduardo Paes gar im euphorischen Ton. "Wir laufen kein Risiko. Diese Verhaftungen zeigen, dass unsere Beamten vorbereitet sind", verkündete der Zweck-Optimist, der die Spiele in seiner Stadt trotz Bankrotts des Bundeslandes Rio, trotz nicht eingehaltener Umweltversprechen wie die Reinigung der Guanabara-Bucht, trotz Einsturzes eines Küstenradweges mit Toten, trotz aller Negativstimmung schönreden muss.

In der auslaufenden Woche hielten gleich fünf falsche Bombenalarme Rio auf Trab. "Wir sind nicht gerade Hauptangriffsziel (des Terrors). Aber wir durchleben einen Moment von Vor-Event-Stress", beruhigte Jungmann. Da passt die Verhaftung der zehn Terrorverdächtigen eigentlich gar nicht ins friedliche Bild.

(sid)
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