Schwimm-Bundestrainer im Interview Lambertz: "Zwei bis vier Medaillen in Rio"

Wuppertal · Zum sechsten und vorerst letzten Mal finden in Wuppertal die Deutschen Kurzbahn-Meisterschaften der Schwimmer statt. Für einige Athleten sind sie eine Standortbestimmung auf dem Weg zu den Spielen in Rio de Janeiro. Auch für Henning Lambertz, den Chefbundestrainer.

 Sieht die Vorgaben vom Sportminister kritisch: Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz.

Sieht die Vorgaben vom Sportminister kritisch: Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz.

Foto: dpa, msc jai hpl

Der Bundestrainer spricht über seine Olympia-Ziele, über die ungewohnten Finalzeiten und Weltmeister Marco Koch.

Am übernächsten Wochenende findet in Israel die Kurzbahn-EM statt. Werden Ihre Sportler angesichts der Terrorgefahr hinreisen?

Lambertz Wir werden keinen Athleten zwangsverpflichten. Es besteht ja ohnehin keine Verpflichtung für diejenigen, die die Normzeiten erreichen, dass sie bei diesen Titelkämpfen antreten.

Werden Sie selbst dorthin fliegen?

Lambertz Ich warte die nächsten Tage noch ab. Von unserem Leistungssportdirektor Lutz Buschkow habe ich die Aussage, dass ich das wie jeder andere selbst entscheiden darf. Wir werden uns genau anschauen, was das Auswärtige Amt und die Botschaft in Tel Aviv über die Situation sagen. Sollte es sich zuspitzen, werden wir die Reise nicht verantworten können.

Sie haben Frau und Kind. Spielt das bei Ihrer Entscheidung, ob Sie reisen werden, eine Rolle?

Lambertz Definitiv. Für wen will man den Helden spielen? Wenn man eine Frau und eine vierjährige Tochter hat, überlegt man dreimal mehr, ob man dieses Risiko eingeht.

Würden Sie am Wochenende in ein Bundesligastadion gehen?

Lambertz Ja.

Ohne Zweifel?

Lambertz Fast ohne Zweifel. Weil die Kontrollen im Moment sehr scharf sind. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, man sollte sich als Privatperson den Spaß nicht verbieten lassen, zu Sportveranstaltungen zu gehen. Als Mannschaftsleiter ist dies etwas anderes, als als Privatperson, weil man eine große Verantwortung trägt.

Sie haben immer die Perspektive Tokio 2020 betont. In rund 250 Tagen beginnen aber erst einmal die Spiele in Rio. Wie sehen Sie die Chancen, dass die Zielvorgabe von zwei bis vier Medaillen für die Beckenschwimmer erfüllt wird?

Lambertz Vier Medaillen sind eher schwierig. Aber auf mindestens zwei haben wir sehr gute Chancen: durch Weltmeister Marco Koch, Paul Biedermann, Franziska Hentke und einige gute Staffeln. Die Vorgabe von zwei bis vier Medaillen ist realistisch. Es muss aber alles klappen. Heißt vor allem, dass diese Schwimmer gesund bleiben müssen.

Unter den Athleten sind die späten Finalzeiten in Rio, kurz vor Mitternacht Ortszeit, ein Thema. Ist das tatsächlich ein Problem?

Lambertz Ja, ein Riesenproblem für alle, die nicht vom amerikanischen Kontinent kommen. Wir haben die normale Zeitumstellung von fünf Stunden zu verkraften und die Umstellung des Wettkampfrhythmus auf Startzeiten von 13 bis 15 Uhr und 22 bis 0.30 Uhr statt wie üblich Morgens und am Spätnachmittag. Das ist doppelt schwer. Die Europäer, Australier und Asiaten haben einen Riesennachteil.

Wie gehen Sie damit um?

Lambertz Wir haben versucht, das beim IOC zu revidieren. Denn das ist ja auch für die Zuschauer in der Halle nicht so toll, wenn die Finals erst zwischen 22 und 24 Uhr stattfinden. Verbände und Trainer haben sich beschwert. Ohne Erfolg. Die Wettkampfzeiten sind an die Wünsche des US-Fernsehens angepasst.

Und nun?

Lambertz Wir versuchen uns schon bei einigen Maßnahmen hier in Deutschland an diese Uhrzeiten zu gewöhnen. Und wir gucken, wer unsere "Problemkinder" sind. Wer sich um 0.30 Uhr noch etwas Leckeres zu essen macht, um 1.30 Uhr schlafen geht und bis 9.30 Uhr durchschlafen kann, hat Glück. Es wird aber auch die geben, die nach der späten Mahlzeit bis 3 Uhr nicht einschlafen können. Wir müssen frühzeitig wissen, wer das ist. Mit unseren Verbandsärzten entwickeln wir Maßnahmen: Das reicht von ganz leichten Beruhigungsmitteln bis zu Lichteffekten, mit denen Tages- und Nachtzeiten simuliert werden.

Bei den Spielen 1984 in Los Angeles waren die Zeiten ähnlich. Da sind Menschen die ganze Nacht aufgeblieben, um sich in den frühen Morgenstunden ein Finale mit Michael Groß anzuschauen. Glauben Sie, dass im nächsten Sommer das deutsche Fernsehpublikum die Nacht für Marco Koch durchmacht?

Lambertz Ich kann mir vorstellen, dass nicht nur das eingefleischte Schwimmpublikum aufbleibt, wenn Marco Koch als Weltmeister und als einer der wenigen deutschen Medaillenanwärter zum Finale antritt. Aber es stimmt: Es wäre einfacher, wenn die Endläufe um 18 Uhr Mitteleuropäischer Zeit und nicht in den frühen Morgenstunden stattfinden würden.

Nächste Woche entscheidet sich, ob sich Hamburg um die Spiele 2024 bewirbt. Kann Deutschland in neun Jahren wieder eine große Schwimmnation sein?

Lambertz Ja. Wir müssen unseren Weg weitergehen. Wichtig ist, dass sich unser Schul- und Sportsystem in vielen Bundesländern verbessert. Die jungen Sportler müssen zu vernünftigen Zeiten trainieren können und nicht wie jetzt zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo Kinder um 4 Uhr morgens aufstehen müssen, um um 5 Uhr zu trainieren. Wenn wir das nicht verbessern, wird es schwer, erfolgreich zu werden.

Muss die Spitzensportförderung von jetzt 160 Millionen Euro im Jahr erhöht werden oder liegt Innenminister Thomas de Maizière richtig, wenn er ein Drittel mehr Medaillen mit den vorhandenen Mitteln fordert?

Lambertz Schön, dass Herr de Maizière das denkt. Aber wie soll das passieren? Meine Trainer haben eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 60 Stunden, ihr Gehalt liegt im Schnitt bei 4000 Euro brutto, und sie sind im Jahr ungefähr 150 Tage auf Reisen. Also ein nicht gerade üppiges Gehalt für relativ viel Arbeit - da ist es schon hart zu fordern: Jetzt holt mal ein Drittel mehr Medaillen! Für diejenigen, die an der Basis arbeiten, sind solche Forderungen ein Schlag ins Gesicht. Die 160 Millionen Euro sind nicht genug. Für Deutschland wäre es ein Leichtes, den Betrag zu erhöhen, wenn man das wirklich wollen würde. In vielen anderen Bereichen, etwa in der Kultur, geben wir mehr Geld aus. Deutschland muss sich zum Hochleistungssport bekennen.

Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass die vier Millionen Euro Fördergeld vom Schwimmverband nicht effektiv eingesetzt werden.

Lambertz Es kommt zu wenig Geld bei den Athleten an, zu viel geht in Verwaltungsbereichen verloren. Wer soll das Problem lösen? Die Verbände selbst? Sie können es ja offenbar nicht. Ist es der Bundesrechnungshof oder das Innenministerium oder der DOSB? Wir brauchen Lösungsansätze und nicht nur Problemlisten.

(bei)
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