Skeleton-Fahrerin Lölling Als Eis-Torpedo zur Silbermedaille

Düsseldorf/Pyeongchang · Jacqueline Lölling (23) ist Olympiazweite im Skeleton. Die Sportart gilt als eine der gefährlichsten im olympischen Programm. Die Athleten werden auf ihren Schlitten schnell wie Autos, aber Angst scheint ein Fremdwort für sie zu sein.

Olympia 2018: Jacqueline Lölling jubelt über Silber
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Lölling jubelt über Silber

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Foto: afp

In der 2500-Einwohner-Gemeinde Brachbach sind Geschwindigkeitsfanatiker eigentlich nicht gern gesehen. Der Plan, das gesamte rheinland-pfälzische Dorf zu einer Tempo-30-Zone zu machen, scheiterte 2011 nur knapp. Nun ist ausgerechnet Brachbach das Heimatdorf von Jacqueline Lölling. Ausgerechnet, weil es die 23-jährige Skeleton-Pilotin viel lieber ganz anders hält: Sprint, Absprung, und dann geht es mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde auf wilde Fahrt im Eiskanal - bäuchlings auf dem Schlitten und mit dem Kopf voran.

Mut und Wahnsinn könnte man nun gleichermaßen unterstellen. Fakt ist aber, dass Jacqueline Lölling all das so gut kann wie wenige andere Menschen auf dieser Erde. Darum ist die junge Skeleton-Fahrerin nicht nur in Brachbach beliebt. Sie ist einer der Shootingstars dieser olympischen Disziplin. Und die Krönung ihrer noch jungen, erfolgreichen Skeleton-Karriere hat Lölling am Wochenende in Pyeongchang erlebt: Sie raste nach einem Nervenkrieg zu ihrer ersten olympischen Silbermedaille.

Lölling war als Favoritin in den Wettbewerb gegangen und hatte zur Halbzeit noch geführt. Und auch vor dem letzten Lauf lag der erste deutsche Olympiasieg in der kleinsten Schlittensportart noch in der Luft. Doch am Ende war Sotschi-Olympiasiegerin Lizzy Yarnold (Großbritannien) nicht zu schlagen. Gerade einmal 0,45 Sekunden trennten Lölling am Ende von der späteren Olympiasiegerin.

"Ich kann das kaum in Worte fassen", sagte Lölling später, noch aufgekratzt und voller Adrenalin. "Diese vier Läufe waren so hart. Und als ich wusste, dass die Medaille sicher ist, ist es mit mir durchgegangen." Das starke Ergebnis für das deutsche Frauenteam rundeten Vizeweltmeisterin Tina Hermann (25) und Anna Fernstädt (21) auf den Rängen fünf und sechs ab. Alles junge Sportlerinnen, die scheinbar keine Angst kennen.

Tischtennis, Rhönrad, Prellball, vielleicht Ski-Gymnastik? Es ist ja nicht so, als böte der TV Jahn Brachbach nicht auch "normale" Sportarten an, die Kinder faszinieren und bei denen sie sich austoben könnten. Doch Lölling entschied sich einst ausgerechnet für Skeleton, eine der gefährlichsten Wintersportarten überhaupt, bei der Athleten so schnell werden wie Autos, aber weder richtig gesichert sind noch ein Lenkrad haben. Selbst die deutsche Rodel-Legende Georg Hackl bekannte jüngst, "für kein Geld der Welt" auf einem Skeleton durch einen Eiskanal fahren zu wollen. Konzentration, Körperbeherrschung und sich ständig auf neue Situationen einstellen zu können, das und mehr macht Skeleton so komplex. "Für mich ist die Mischung aus dem Sprint beim Start und dann die Geschwindigkeit das Tolle am Skeleton", sagt Lölling. "Ich liebe die Geschwindigkeit und dann noch mit dem Kopf voraus. Ich fahre auch gerne schnell Auto."

Ihre ehemalige Sportlehrerin, so erzählte es Lölling einmal, hatte sie an den Eiskanal mitgenommen, weil deren Tochter Spaß an Skeleton hatte. Dort reichten zwei rasante Abfahrten auf der Jugendstrecke, und Lölling kam vom Skeleton nicht mehr los. Mit dem Spaß kam der Ehrgeiz. Im 70 Kilometer entfernten Olympiastützpunkt in Winterberg gab es beste Trainingsbedingungen. Fortan waren also die Eltern gefragt, chauffierten ihre Tochter mehrmals die Woche hin und zurück. Auf Dauer ging das aber nicht. Lölling verließ die Heimat, besuchte das Gymnasium in Winterberg und zog ins Sportinternat. Für die RSG Hochsauerland holt die ausgebildete Polizistin seither Titel - seit 2017 in der Weltspitze: Sie wurde Europameisterin, jüngste Weltmeisterin aller Zeiten, zweimal Gesamtweltcup-Siegerin. Und nun folgte olympisches Silber. "Das war megawichtig für unsere Sportart", sagte Lölling. Denn während etwa in Korea viele Fans kreischen, wenn die Athleten zu Torpedos werden, wird der Sport in Deutschland wenig beachtet.

Im Olympic Sliding Center gehörte Teamkollegin Tina Hermann zu Löllings Gratulanten. Mit der 25-Jährigen hat sie sich bereits als Jugendliche gemessen. Hermann ist Wegbegleiterin, Konkurrentin, aber sie ist auch eine Gleichgesinnte. Denn auch sie ist mit dem Skeleton-Virus infiziert. Angst kenne sie nicht, sagte Hermann. Man mache sich Gedanken, gehe die Bahn durch, schaue sich immer wieder Videos an, "und irgendwann hast du die Kontrolle. Je mehr Fahrten du machst, desto sicherer wirst du."

(ball)
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