Vorwurf an Ex-IOC-Präsident Rogge im Zentrum neuer Doping-Gerüchte

Köln · Der frühere IOC-Präsident Jacques Rogge soll persönlich dafür gesorgt haben, dass während der Winterspiele 2002 in Salt Lake City zwei mögliche Biathlon-Dopingfälle nicht weiterverfolgt wurden.

Thomas Bach zum neuen IOC-Präsidenten gewählt
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Das IOC und die Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City geraten immer mehr in Verruf: Nun fällt sogar auf Jacques Rogge der Doping-Schatten. Der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees soll persönlich entschieden haben, dass äußerst verdächtige Dopingproben aus dem Biathlon-Lager ignoriert wurden - weil es "den Gestank auf der Welt nur noch verstärken würde".

Diese Worte wählte Don Catlin (75), die graue Eminenz des Anti-Doping-Kampfes in den USA und bei den Salt-Lake-Spielen Chef des Test-Labors vor Ort, als er in einem Gespräch mit der New York Times über seine damalige, entscheidende Unterhaltung mit dem heute 71-jährigen Rogge berichtete.

Den beiden Männern scheint demnach der Boden unter den Füßen schlichtweg zu heiß geworden zu sein. Sie entschieden, dass die Welt von diesen beiden Fällen niemals erfahren dürfe.

Rogge habe ihm nur eine Frage gestellt, sagte Catlin: "Können Sie den Fall vor dem CAS (Internationaler Sportgerichtshof, d. Red.) gewinnen?" Er habe dem IOC-Präsidenten die Frage mit "ja" beantwortet, aber darauf hingewiesen, dass die zum Ende der Spiele aufgedeckten Dopingfälle der Langläufer Johan Mühlegg, Larissa Lasutina und Olga Danilowa schon genügend Arbeit verursachen würden.

"Also haben wir entschieden, es an diesem Punkt zu stoppen", sagte Catlin. Man habe nicht riskieren können, alle fünf Fälle zu verfolgen. Wäre nur einer verloren gegangen, wäre "deine Glaubwürdigkeit in dieser Frage zerschossen".

Das Internationale Olympische Komitee erklärte auf SID-Anfrage, Catlin habe sich bereits an das IOC gewandt und gesagt, er sei von der New York Times falsch zitiert worden. Aus IOC-Sicht besitze der Bericht keine Grundlage, sagte Sprecher Mark Adams. Im Gespräch mit dem norwegischen TV-Sender TV2 bestätigte Catlin die Aussagen aber mittlerweile im Grundsatz.

Dem Wissenschaftler zufolge lief damals bei den Biathlon-Tests alles auf eine positive EPO-Analyse hinaus. "55 von 60 Stufen" des Testverfahrens seien durchgeführt worden, "es schien so, als würden wir ein positives Ergebnis bekommen. Aber wir haben an diesem Punkt aufgehört", sagte Catlin. Ein Grund sei gewesen, dass er am letzten Tag der Spiele "ganz schön erledigt" gewesen sei und man "einen Haufen anderer Probleme mit den anderen Fällen" gehabt habe. Mittlerweile bereut Catlin sein Handeln. "Ich wünschte, ich hätte nicht aufgegeben", sagte er der norwegischen Zeitung Aftenbladet.

Namen der möglichen Sünder nannte er nicht, wahrscheinlich kennt er sie nicht einmal. Im Labor landen die Proben anonymisiert. Eine Nachverfolgung ist heute nicht mehr möglich, da die Fälle verjährt sind.

Dennoch reißt ein weiterer Satz Catlins, der 1982 das erste US-Anti-Doping-Labor in Los Angeles gegründet und 25 Jahre lang geleitet hat, weitere alte Wunden auf: "Als Samaranch Präsident war, passierten solche Dinge auch." Dass der Spanier Juan Antonio Samaranch während seiner IOC-Präsidentschaft (1980 bis 2001, d.Red.) ein Gegner des allzu stringenten Anti-Doping-Kampfes war ("Dann ruinieren die Skandale unser Image"), ist heute weithin bekannt. Rogge, der im vergangenen September von Thomas Bach an der IOC-Spitze abgelöst worden war, galt aber bislang zumindest als behutsamer Förderer einer härteren Gangart. Dass auch er gemauschelt haben könnte, versetzt der Glaubwürdigkeit der Anti-Doping-Arbeit im Zeichen der fünf Ringe einen weiteren Schlag.

Ob Bach, der 2002 als frisch gekürter Chef der juristischen IOC-Kommission in der Doping-Alarmkette direkt hinter dem Belgier postiert war, von den betreffenden Biathlon-Fällen weiß, ist nicht bekannt.

Doping-Experte Werner Franke, der den aktuellen Fall "bislang noch nicht kannte", sagte zur angeblichen Rolle Rogges auf SID-Anfrage: "Das wundert mich alles überhaupt nicht. Kein Mensch kann ohne die Unterstützung aus Doping-Staaten wie den ehemaligen Sowjet-Republiken IOC-Präsident werden - entsprechend wird auch nach der Wahl gehandelt. Das gilt bis heute."

Die Führung des Biathlon-Weltverbandes erfuhr von dem Fall angeblich aus der Presse. "Man sollte sich in der Anti-Doping-Arbeit von nichts überraschen lassen, aber ich musste mich schon zwicken und fragen: Kann das, was da geschrieben steht, wirklich stimmen?", sagte IBU-Präsident Anders Besseberg, damals schon in Amt und Würden, dem Aftenbladet: "Das IOC muss jetzt auf den Plan treten und diese Sache klarstellen."

Zuletzt waren die Winterspiele in Salt Lake City, die durch mehrere Bestechungsskandale im IOC-Kreis im Rahmen des Vergabeverfahrens bereits nachhaltig beschädigt sind, verstärkt in die Doping-Schlagzeilen geraten. Der öffentlich-rechtliche schwedische TV-Sender SVT hatte vor Wochenfrist von konkreten Hinweisen auf großflächiges Doping während der Spiele im Langlauf-Lager berichtet. Die Analyse der Tests von 25 verdächtigen Athleten gebe deutliche Hinweise auf den Gebrauch unerlaubter Mittel. Ein deutscher Athlet beziehungsweise eine deutsche Athletin soll betroffen sein.

(sid)
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