Gelähmte Skicrosserin Komissarowa ist Opfer des "Schneller, höher, weiter"

Düsseldorf · Bei den Olympischen Winterspielen 2010 ist ein georgischer Rodler tödlich verunglückt. Nun nach den Spielen von Sotschi ist die russische Skicrosserin Maria Komissarowa derzeit querschnittsgelähmt. Von der Taille an abwärts hat sie kein Gefühl mehr. Die olympische Jagd nach dem Motto "Schneller, höher, weiter" fordert ihre Opfer.

 Maria Komissarowa ist in Sotschi schwer gestürzt.

Maria Komissarowa ist in Sotschi schwer gestürzt.

Foto: afp, ski

Der Tag nach Weiberfastnacht 2010 war einer der traurigsten Tage in der jüngeren olympischen Geschichte. Nicht die Eröffnungsfeier, nicht das wunderbare Umfeld der kanadischen Winterspiele, nicht die Vorfreude auf die großen Wettkämpfe waren das große Thema. Nein, der tödliche Unfall des Rodlers Nodar Kumaritaschwili stand im Mittelpunkt.

Kumaritaschwili war im Abschlusstraining aus der Bahn und gegen einen Betonpfeiler geschleudert worden. Die Bahn von Whistler hatte zuvor schon als besonders gefährlich gegolten. Es gibt Bilder, die zeigen, wie Hunderte von Kilo schwere Viererbobs bei Tempo 150 ein paar Zentimeter über dem Eis schwebten. "Schnellste Bahn der Welt" galt als Qualitätsmerkmal.

"Extreme Park" — der Name ist Programm

Der Hochleistungssport bewegt sich an den Grenzen des Möglichen und manchmal auch an den Grenzen des Vertretbaren. "Citius, fortius, altius", das im Deutschen grob zu "Schneller, höher, weiter" übersetzte Motto der Olympischen Spiele, wird ausgereizt. Bei den neuen Wettbewerben im Slopestyle zum Beispiel. Skifahrer und Snowboarder fliegen über Rampen — bis in Höhen von zehn Metern — und bieten atemraubende Kunststücke. Eindrucksvolle Bilder liefern sie damit. Bilder, von denen Olympia lebt. Ihre Piste in den kaukasischen Bergen heißt "Extreme Park". Der Name ist Programm.

Im Training vor Beginn der Spiele von Sotschi gab es schon einige Unfälle, die vergleichsweise glimpflich endeten. Als die Finnin Merika Enne mit dem Kopf aufschlug und im Tragesack abtransportiert wurde, machten schlimmste Befürchtungen die Runde. Superstar Shaun White bezeichnete die Strecke als "furchteinflößend". Mit den neuen, spektakulären Sportarten, die vor vier Jahren in Vancouver großen Anklang fanden, begegnet das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Konkurrenzveranstaltungen, die vornehmlich ein jüngeres Publikum begeistern. Die X-Games, die vor allem in Nordamerika populär sind, sind ein Beispiel dafür. "No risk, no fun", heißt ein Motto der Szene. Ohne Risiko kein Vergnügen. Doch es gab zuletzt immer wieder Beispiele dafür, wie gefährlich, mitunter lebensgefährlich, der Sport ist. Der 29-jährige Ski-Crosser Nick Zoricic verlor 2012 beim Weltcup-Rennen im Schweizer Grindelwald die Kontrolle, schlug neben der Strecke auf und erlag später seinen Verletzungen.

Die kanadische Freestyle-Skiläuferin Sarah Burke war ein paar Wochen zuvor während des Trainings in der Superpipe im Park City Mountain Resort und hatte sich trotz Sturzhelm ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Neun Tage später starb sie im Universitätskrankenhaus von Salt Lake City. Freunde verstreute ihre Asche jetzt im Umfeld der Halfpipe von Sotschi.

Makabere Träume

Ein Spruch von Burke über sich und ihren Mann Rory bleibt überliefert: "Es ist unser Leben, auf dem Berg zu sein. Und das hat seinen Grund: Dort ist es, wo wir uns kennengelernt haben, wo wir spielen, wo wir leben und wo wir hoffentlich sterben werden." Hoffentlich erfüllen sich derart makabre Träume — wenn sie tatsächlich jemand hegt — in Sotschi nicht.

Im Kampf um Aufmerksamkeit und Vermarktungsmöglichkeiten geht der olympische Sport hohe Risiken ein — gerade in den jungen Disziplinen Snowboard und Ski-Freestyle.

Die russische Freestyle-Skifahrerin Komissarowa schrieb nun bei Instagram , sie könne vom Bauchnabel an abwärts nichts spüren: "Aber ich bin stark und ich weiß, dass ich eines Tages wieder auf meinen Füßen stehen werde." Komissarowa hatte am 15. Februar bei einem Sturz im Skicross-Rennen einen Bruch des zwölften Brustwirbels erlitten. Sie war unmittelbar danach in einer Klinik in Krasnaja Poljana sechseinhalb Stunden lang notoperiert worden. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hatte sie in der Klinik besucht und Fotos von der Visite verbreiten lassen. Später wurde die Skicrosserin in eine Spezialklinik nach München geflogen, wo sie mehrfach operiert wurde. Kritik gab es an der Erstversorgung nach dem Unfall. Die Helfer hantierten ohne eine Vakuummatratze herum. Ein Jahr zuvor hatte sich die Skicrosserin auf derselben Strecke einen Kreuzbandriss zugezogen.

Die Strecke im "Rosa Chutor Extreme Park" im Speziellen und die jungen, spektakulären Sportarten Skicross, Halfpipe und Slopestyle, bei denen die Athleten bis zu zehn Meter hoch springen, waren nach Stürzen in die Kritik geraten. Beim Skicross-Wettbewerb, bei dem sechs Athleten gleichzeitig auf der Piste fahren, Die Partenkirchenerin Anna Wörner hatte sich im olympischen Viertelfinale eine schwere Knieverletzung zugezogen. Sie war nach einem Sprung aus der Piste katapultiert worden.

(RP)
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