Olympische Winterspiele in Sotschi Holland herrscht im Eisschnelllauf

Düsseldorf · Nirgendwo ist die Leistungsdichte höher und die Konkurrenz größer als in den Niederlanden.

Kramer gratuliert Landsmann Bergsma zum Sieg
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Kramer gratuliert Landsmann Bergsma zum Sieg

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Foto: ap, PDJ YA

Während Sven Kramer, noch in Trainingsanzug und Turnschuhe gekleidet, durch den Mittelteil der Adler Arena schreitet, tobt die Halle bereits. Die Farbe Orange dominiert auf den Rängen, der Auftritt des niederländischen Eisschnelllauf-Stars wird untermalt von der obligatorischen Musikkapelle "Kleintje Pils". Ein Volksfest.

Eine gute Stunde später herrscht Katerstimmung bei Kramer. Auf den letzten Runden der Zehn-Kilometer-Strecke, Königsdistanz im Eisschnelllauf, schwächelt er, wird am Ende nur Zweiter. Doch während Kramer trauert, explodiert die Adler Arena trotzdem vor Oranje-Freude. Geschlagen wurde Kramer nämlich von einem Landsmann, Jorrit Bergsma. Bob de Jong, 37-jähriger Altstar, komplettiert mit Bronze die Holland-Dominanz.

19 von 27 Medaillen holten niederländische Eisschnellläufer damit bislang in Sotschi, gleich viermal holten sie gleichzeitig Gold, Silber und Bronze. Der Abstand zur Konkurrenz ist riesengroß. Erfolg, der honoriert wird. Während der Olympia-Entscheidungen sitzen fast zwei Drittel der Niederländer vor dem Fernseher. König Willem-Alexander feiert ausgelassen auf der Tribüne in Sotschi. Als Kramer vor vier Jahren in Vancouver die Goldmedaille aufgrund eines Bahnwechselfehlers verpasste, stürzte das Land in eine kollektive Depression.

Diese Zeiten sind vorbei. Während Eislaufnationen wie die USA, Deutschland oder Südkorea abstürzen, sind die Holländer schneller denn je. Doch den Erfolg einzig mit mangelnder Konkurrenz zu erklären, ist zu kurz gedacht. Es gab und gibt schnelle Eisschnellläufer in anderen Ländern. Allerdings ist die Förderung nirgendwo besser als in den Niederlanden. 10 000 registrierte Wettkampfläufer gibt es, in Deutschland sind es nur 1000. In einem Land, kaum größer als Nordrhein-Westfalen, gibt es 13 überdachte Eislauf-Wettkampfbahnen. In der ganzen Bundesrepublik sind es deren drei.

Parallelen zum Rodeln tun sich auf. In dieser deutschen Erfolgssportart stehen vier der 16 Bahnen weltweit in der Bundesrepublik. So ist klar, dass deutsche Rodler zu den Besten der Welt gehören. Doch der Unterschied ist: Während Rodeln hierzulande ein Minderheiten-Sport ist, ist der Eisschnelllauf niederländischer Volkssport. Fast jeder Holländer besitzt Schlittschuhe, Schulkinder werden in Bussen zur nächsten großen Eishalle gekarrt. Der "Elfstedentocht", ein Freiluftrennen über Grachten und Kanäle, ist das größte Sportereignis des Landes — wenn auch durch den Klimawandel arg gefährdet.

Und in Deutschland? Hier fristet der Sport inzwischen ein Schattendasein. Und so darf sich niemand wundern, dass Claudia Pechstein das letzte alternde Überbleibsel einer einst starken Eislauf-Nation ist. Früher war das noch ganz anders. Da standen Gunda Niemann, Anni Friesinger oder eben Pechstein häufig ganz oben auf dem Treppchen.

Heute müssen sich die Oranje-Läufer die Konkurrenten vor allem in den eigenen Reihen suchen. Harmonie ist in der niederländischen Eisschnelllauf-Szene ein Fremdwort — es herrscht das knallharte Leistungsprinzip. Die Top-Läufer sind in kommerziellen Rennställen organisiert und treten das ganze Jahr auf hohem Niveau gegeneinander an. "Ich musste schon zwei super Rennen fahren, um überhaupt nach Sotschi fahren zu dürfen", sagte Michel Mulder, Sieger über 500 Meter. "Wenn sich einer von uns qualifiziert, ist er automatisch ein Favorit auf eine Medaille."

So zielt der Spruch, die Niederländer könnten ja "nur" Eisschnelllauf, auch locker ins Leere. In einem Land, dessen höchster "Berg" stolze 322,7 Meter hoch ist, kann Wintersport — abgesehen von den Karawanen Richtung Sauerland — keine große Rolle spielen. 106 Medaillen holte "Oranje" in der Geschichte der Winterspiele, 101 davon kommen aus dem Eisschnelllauf. Ein Fünftel davon holten die Niederländer bislang in Sotschi. Und die Spiele sind noch nicht vorbei.

Der Autor ist in den Niederlanden aufgewachsen, feierte als Jugendlicher die Erfolge von Rintje Ritsma und Ids Postma und wurde schon als Schüler regelmäßig mit dem Bus nach Heerenveen gefahren. Nennenswertes Talent zeigte sich im Eisschnelllauf jedoch nicht.

(RP)
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