Trainer kostet Eisschnelllauf-Gold Kramer stocksauer: "Was für ein Arschloch"

Richmond/Düsseldorf (RPO). Eisschnellläufer Sven Kramer jubelte, nachdem er über 10.000 Meter die Ziellinie passierte. Der Niederländer hatte gerade den Lauf seines Lebens hinter sich und freute sich über seine zweite Goldmedaille in Vancouver. Der 23-Jährige wusste noch nicht, dass er längst disqualifiziert war.

Olympia 2010: Trainer-Patzer kostet Kramer Gold
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Foto: AFP

Trainer Gerard Kemkers hatte einen folgenschweren Fehler begangen. Er hatte seinen Schützling acht Runden vor Schluss auf die falsche Bahn gewiesen und so den Ausschluss seines Athleten zu verantworten. Kramer war bereits klar auf Gold-Kurs, Kemkers informierte ihn über seine Zwischenzeit und rief ihm das folgenschwere Wort zu: "Innenbahn".

Kramer zögerte kurz, vertraute dann seinem erfahrenen Coach und wechselte nach innen. Damit war sein Traum geplatzt. Sekunden später fuhr der Russe Iwan Skobrew an Kemkers vorbei und wechselte auf die für ihn vorgesehene Innenbahn. Dem erfahrenen Trainerfuchs fuhr sofort der Schrecken in die Glieder. Er wusste: Das war das Aus für Kramer.

"Was für ein Arschloch"

Sein Schützling war indes völlig außer sich: "Verdammt noch mal, was für ein Arschloch. Er weist mich in die falsche Kurve. Das Rennen lief eigentlich optimal, es war eines der besten meines Lebens. Das hat er vorher noch nie gemacht, deshalb dachte ich, er lag richtig."

Kemkers nahm die Schuld anschließend auf sich. "Ich übernehme die Verantwortung. Das sind die Momente, die ein Trainer am meisten fürchtet. Für mich stürzt eine Welt zusammen", sagte der Coach, dem der Schock ins Gesicht geschrieben stand. "Ich hatte noch ein Prozent Hoffnung, dass er nicht disqualifiziert würde. Deshalb habe ich ihn nicht aus dem Rennen genommen", so Kemkers weiter.

"Das ist extrem tragisch. So etwas habe ich bei Olympia noch nie erlebt", fühlte der deutsche Bundestrainer Markus Eichler mit seinem niederländischen Kollegen.

Als sich Kramer etwas beruhigt hatte, beschrieb er den Verlauf der Dinge nach Kemkers' Fehler aus seiner Sicht. Etwa drei Runden vor Rennende habe er seine Freundin, die Hockey-Olympiasiegerin Naomi van As, auf der Tribüne entdeckt, das Gesicht in den Händen vergraben. "Da habe ich gedacht: Wahnsinn, hast du doch falsch gewechselt? Als ich dann im Ziel die Reaktion des Publikums sah, wusste ich endgültig, dass hier was nicht stimmt."

Ein Schock für die Eisschnelllauf-Nation Niederlande! Kramers Gold wäre bereits der 25. Olympiasieg eines Niederländers bei olympischen Eisschnelllauf-Wettbewerben gewesen. Nur die USA (28), Russland (27) und Norwegen (25) waren bislang erfolgreicher. Doch dann das.

Aussprache im Hotel

Zwei Stunden nach dem Lauf sprachen sich Kramer und Kemkers, 5000-m-Bronzegewinner 1988 in Calgary, im Hotel aus. "Ich hoffe, dass unsere Beziehung so stark ist, dass ich mir über eine Trennung keine Sorgen machen muss. Sven hat sich wie ein reifer Erwachsener verhalten", sagte Kemkers über das Gespräch.

In Kramer hingegen brodelte es. "Ein verkehrter Wechsel im wichtigsten Rennen meines Lebens - das ist scheiße. Jeder kann mal Fehler machen, aber dieser hier ist sehr teuer. Ich will eigentlich nicht anderen Menschen die Schuld in die Schuhe schieben, aber ich kann nicht anders. Natürlich ist unsere Beziehung beschädigt", sagte Kramer und fügte dann doch wie unter Zwang hinzu: "Letztlich bin ich selbst verantwortlich."

Kramer ist nach dem Drama der erste eigentliche Eisschnelllauf-Olympiasieger, der nach dem Zieleinlauf disqualifiziert wurde. Eine ganze Nation steht nach dem Verlust der Goldmedaille unter Schock. "Ich bin gekommen, um ein Fest zu feiern. Jetzt weint mein Herz", sagte Kronprinz Willem Alexander, der das Unfassbare gemeinsam mit seiner Familie auf der Ehrentribüne erlebte.

(can)
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