Südkorea und Nordkorea bei Olympia Die völkerverbindende Kraft?

Düsseldorf · Die ganz große Eiszeit dauerte zwölf Jahre. 2006 waren die Mannschaften von Süd- und Nordkorea zur Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele letztmals gemeinsam ins Stadion gezogen. In knapp drei Wochen werden sie diese Tat in Pyeongchang wiederholen.

 Der Einmarsch von Südkorea und Nordkorea bei den Winterspielen 2006 in Turin.

Der Einmarsch von Südkorea und Nordkorea bei den Winterspielen 2006 in Turin.

Foto: ap, AY

Anderswo werden gemeinsamer Einmarsch und das gemeinsame Eishockey-Team als Beweis für die völkerverbindende Kraft der Olympischen Spiele gefeiert. Während sich der US-Präsident Donald Trump mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un öffentlich darüber streitet, wer den größeren Atomknopf hat, scheinen Nord- und Südkorea und mit ihnen die olympische Idee das größte vorstellbare Friedenssignal auszusenden.

Mindestens zweimal in der Geschichte der Olympischen Spiele in der Neuzeit haben sich die Olympier genau dafür bereits gefeiert. Zum ersten Mal der berühmte Baron Pierre de Coubertin selbst. Der Franzose nahm die Idee der alten Griechen für die Neuzeit auf, er gilt als Vater der olympischen Bewegung. Heute steht sein Standbild in einem Halbkreis aus weißen Säulen als Denkmal vor dem olympischen Museum in Lausanne. Mit feierlichem Ernst blickt der Baron über ein ewiges Licht auf den Genfersee. Und im Museum erinnert eine Tafel an Coubertins Überzeugung, Olympia trage "zu einer besseren Welt bei". 1896 hat er das gesagt, kurz vor den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen 1896.

Wie ernsthaft Coubertin diesen Gedanken verfolgte, bewies er 36 Jahre später. Auf die Frage, warum er die Spiele des deutschen NS-Regimes unterstütze, antwortete er: Es sei gleichgültig, ob Olympia Tourismus-Werbung wie 1932 in Los Angeles betreibe oder Propaganda für ein politisches System wie in Berlin vier Jahre darauf. Er fand weder das Ideal des olympischen Friedens noch die Idee einer von markt- oder politikinteressierten Mächten freien Veranstaltung weiter erwähnenswert. Das war sehr modern. Aber es ist eine offene Frage, ob sich heute einer der mit allen Wassern gewaschenen Sportfunktionäre einen derartigen Klartext erlauben würde.

"The Games must go on"

Der zweite bedeutende Funktionär, der Olympias völkerverbindende Funktion mit größter Lautstärke pries, war der US-amerikanische IOC-Präsident Avery Brundage. 1972 wurde er berühmt, als er nach dem Anschlag der palästinensischen Terror-Organisation "Schwarzer September" auf Mitglieder der israelischen Mannschaft, der zu 17 Todesopfern führte, den Satz sagte: "The Games must go on" (Die Spiele müssen weitergehen). Das tat er vor aller Welt. In eher abgeschirmten Besprechungszimmern hatte er Mitte der 1950er Jahre große Sportpolitik betrieben. Seinem Verhandlungsgeschick verdankt Deutschland in den Jahren 1956 bis 1964 eine gemeinsame Olympiamannschaft aus Athleten der Bundesrepublik und der DDR.

Brundage hatte mit seiner vorübergehenden Wiedervereinigung des seit dem Zweiten Weltkrieg geteilten Landes auf dem sportlichen Sektor vor allem deshalb Erfolg, weil er der Bundesrepublik zunächst die Hoheit im Team verlieh. Da in der BRD dreimal so viele Menschen lebten wie in der DDR, sei den Westdeutschen die Rolle des Chefs de Mission gesichert, sagte Brundage. Das fanden die Westdeutschen unter Karl Ritter von Halt, dem Präsidenten ihres Nationalen Olympischen Komitees, überzeugend.

Brundage betrachtete sich umgehend als Visionär und Ahnherr einer politischen Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die Olympia doch so eindrucksvoll vorgelebt habe. Er starb 1975 und erlebte deshalb die Verwirklichung dieses Traums nicht mehr. Enttäuscht stellte er fest: "Ich bedaure, dass wir umsonst warten mussten, dass die Politiker diesem glänzenden Beispiel folgten." Die in Zeiten des Kalten Krieges wahrlich verwegene Idee, 1968 in der geteilten Stadt Berlin Olympische Spiele auszurichten, bejubelte Brundage vergeblich. "Das wäre wirklich sensationell und könnte für den Weltfrieden mehr erreichen als Kennedy und Chruschtschow zusammen", sagte der IOC-Präsident Anfang der 1960er Jahre.

Zu dieser Zeit war die gemeinsame deutsche Mannschaft längst nur noch ein Symbol der Völkerverbindung ohne tatsächlichen Hintergrund. Bei den deutsch-deutschen Qualifikations-Wettkämpfen für das Olympiateam beharkten sich die Athleten aus Ost und West mit allen Mitteln. Und bei Olympia selbst begegneten sie sich beim Einmarsch, bei Wettkämpfen und allenfalls mal beim Essen.

Sogar kurze Gespräche unter den Sportlern wurden von den Funktionären mit äußerstem Argwohn beobachtet. Die anfänglich gute Laune im Westen wurde immer schlechter, je deutlicher die Bundesrepublik in den Qualifikationskämpfen ins Hintertreffen geriet. Und es wunderte sich niemand mehr, dass die künstlich vereinigte deutsche Mannschaft 1964 zum letzten Mal startete. 1968 marschierte sie in Mexiko noch mal gemeinsam ein, aber es waren zwei Teams, die nun auch getrennt gewertet wurden.

In die besonders öffentlichkeitswirksamen Spiele in München gingen Bundesrepublik und DDR endgültig auf getrennten Wegen. Die ostdeutsche Führung bewertete die Zulassung des eigenen Teams als "Anerkennung der bestehenden Realitäten" und "endgültige Niederlage der auf Alleinvertretungsanmaßung beruhenden Politik der westdeutschen Bundesrepublik". Das Wort von der völkerverbindenden Wirkung kam auch bei Brundage dann nicht mehr so häufig vor.

(pet)
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